1136. Der Ordelbach zu Eichstädt.

[169] Mündlich.


Hinter dem Kloster der heiligen Walburga zu Eichstädt durchbricht den nördlichen Theil der um die Stadt sich ziehenden Mauer, die hier am Abhange des Berges sich hinzieht, ein weitvorspringender Fels, dessen dem Kloster zugekehrte Seite eine senkrechte, etwa achtzig Schuh hohe und zwanzig Schuh breite Wand bildet. In Mitte dieser Wand, in einer Höhe von ungefähr dreißig Schuhen, befindet sich eine Oeffnung von ungefähr zehn Schuh Höhe und drei Schuh Breite. Durch diesen Riß drängen, wenn es einige Zeit geregnet hat oder wenn die auf der nördlichen Bergebene gelegenen Schneemassen im Frühlinge schmelzen, gewaltige Wassermassen heraus, die sich oft so sehr vergrößern, daß man befürchten möchte, sie zersprengen den Fels. Der Wasserstrom stürzt in die Tiefe, läuft unter dem Kloster in einen künstlichen Kanal ab und fließt in die Altmühl. Das Getöse des stürzenden Wassers wird weithin gehört. Es ist ein großartiges Schauspiel, das auch stets viele Zuschauer herbeizieht. Dieser Wasserfall heißt der Ordelbach. Von ihm geht nun in der Stadt die Sage, daß er einst sein Becken und sein Thor sprengen und in solcher Wucht herausströmen werde, daß er Kloster und Stadt vernichten würde. Diese Katastrophe kann nur dadurch verzögert (nach einer anderen Ueberlieferung für immer verhindert) werden, daß an einem bestimmten Tage des Jahres von den Klosterfrauen heiliges Oel, das aus den Gebeinen der heiligen Walburga fließt, in die Oeffnung der Felswand gegossen wird.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 169-170.
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