1147. Die Allerseelenmesse bei St. Lorenz.

[177] Nürnbergs Merkwürdigkeiten u. Kunstschätze. Heft 2: Die Kirche des hl. Laurentius, beschrieben von J.W. Hilpert. Nürnb. 1831 – Hauschronik I., 69. (v. Trautmann).


Zu Nürnberg war eine Jungfrau, Namens Gertraud Stromer, die war einem reichen Patrizier wohl geneigt, so, daß ihr ganzes Herz an ihm hing. Weil sie's aber verhehlte, heirathete Den ihre beste Freundin. D'rüber brach der Gertraud aller Lebensmuth, der Patrizier starb auch nach kurzer Ehe und die Gertraud überlebte ihn nicht lange. Als man nun 1430 zählte und am Allerseelensonntag war's, machte sich des Patriziers junge Wittwe, Frau Imhof, früh auf und wollte zu St. Lorenz die Frühmesse hören. Da sie in die Kirche kam und etliche Weile in ihrem Kirchstuhl saß, ward ihr angehends ganz sonderlich zu Muth. Denn, wo sie hinsah, bedünkte ihr, daß sie keine heutigen Gesichter erblicke, und alle Menschen und die Geistlichen an den Altären seien vor langer Zeit verstorben. Wie sie nun darüber in tausend Zweifeln war, gedachte sie sich anzufragen, trat zitternd aus dem Kirchstuhle, wandte sich an eine Jungfrau, die auf einen Altar zugewendet war und klopfte sie leise auf die Schulter. Als sich Diese gegen sie kehrte, erkannte die Imhof ihre beste Freundin, so vor drei Wochen gestorben war. Da trat ihr's eiskalt an's Herz. Die Verstorbene aber sagte: »Gevatterin, so man zur Wandlung läutet, hebt Euch ehest aus der Kirche, ansonst ist's auch um Euer Leben geschehen. Ihr habt mir wohl das Herz gebrochen, ich aber hab Euch verziehen.« Hierauf eilte Frau Imhof alsogleich hinaus, es bedünkte ihr aber, als eilten ihr eine ganze Menge Menschen nach und als hielten sie Etliche am Mantel fest. Da ließ sie ihn im Stich und floh nach Hause und wurde sterbenskrank, daß sie schon die heilige Wegzehrung bekam. Doch kam sie wieder davon, hatte aber alle Lust zur Welt verloren und ging in St. Clarens Kloster. Da lebte sie noch etliche Jahre. Dann starb sie früh am Allerseelentag.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 177.
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