397. Wie Albertus Magnus gelehrt und wieder dumm geworden.

[413] Albertus Magnus war schon früh in den Orden des heil. Dominicus getreten, aber es dauerte nicht lange, da gefiel ihm das geistliche Leben nicht mehr, denn er meinte, daß es ihm an Kopf mangle, um die Tiefen der Gottesgelahrtheit zu ergründen, und darum beschloß er, aus dem Kloster zu entfliehen. Er setzte also eines Abends eine Leiter an die Gartenmauer, um da hinüberzusteigen und fortzulaufen; da aber sah er urplötzlich vier Frauen von gar ehrwürdigem Wesen vor sich stehen, davon stießen zwei ihn zu wiederholten Malen von der Leiter. Er hatte aber das Klosterleben so satt, daß er trotzdem zum dritten Male versuchte, die Leiter hinaufzusteigen; da fragte ihn die dritte der Frauen, warum er denn so schändlich weglaufen wollte? Albert sagte ihr, daß er zu dumm wäre, um zu studiren, und des Klosters darum überdrüssig wäre. Da sagte die dritte, dann thue er doch besser, statt zu fliehen, den Schutz und Beistand der Mutter Maria sich zu erflehen, welche die vierte Frau wäre, und sie andern drei wollten ihm helfen bitten. Als Albert das hörte, war er wie herumgedreht, und er warf sich alsbald vor Maria nieder und klagte ihr sein Leid und bat sie, daß sie doch seine Dummheit von ihm nehmen möchte. Da fragte ihn Maria, welche Wissenschaften er denn am liebsten studiren wolle und ob er lieber die Weltweisheit oder die Gottesgelahrtheit hätte? Albert bedachte sich nicht lange und bat die Mutter Gottes, ihn zu einem tüchtigen Weltweisen zu machen. Darauf sprach Maria: »Das soll dir geschehen, aber weil du Weltweisheit der Gottesgelahrtheit, die dich meinen Sohn hätte besser erkennen lassen, vorgezogen hast, so sollst du am Ende deines Lebens all' deine Wissenschaft verlieren und wieder so dumm werden, wie du warst und das soll sein drei Jahre vor deinem Tode.« Nachdem die Muttergottes das gesprochen, verschwand sie mit den andern Frauen und Albert kehrte zum Kloster zurück, studirte und wurde bald der gelehrteste Mann von der Welt, so daß man ihn den Großen hieß und der Papst ihn endlich gar zum Bischof machte. Er war so kunsterfahren, daß er eine Bildsäule machte, die sprechen konnte und sich bewegte, wie ein lebendiger Mensch; Thomas von Aquin, sein Schüler, hat dieselbe zerstört. Als Albert endlich fühlte, daß die Jahre seiner Dummheit heranrückten, da erzählte er all' seinen Schülern[414] von dem Gesichte, welches er gehabt. Er wurde auch dümmer und einfältiger als ein Kind, trug das aber mit Geduld und Ergebenheit und verharrte getreulich in seinen religiösen Uebungen bis zu seinem Tode. Zu Köln in der Andreaskirche liegt er begraben.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 413-415.
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