66. Adalbert und Otkar, die Gründer von Tegernsee.

[67] Erzählt von M.v. Freyberg, älteste Gesch. v. Tegernsee. München 1822, S. 15 ff. Andr. Presb. in v. Freybergs Samml. hist. Schriften II., 385 ff. Pez thes. anecd. III., 473. Ertl rel. II., 161. Hund metrop. III., 389 u.A.


Adalbert und Otkar, zwei Brüder aus fürstlich Burgundischem Stamme, von einer Mutter Agilolfingischen Geschlechtes, lebten als fromme, erleuchtete, tapfere Männer an König Pipins, ihres Blutsverwandten Hofe. Da begab es sich, daß des Königs Sohn, jenen Herrn Otkars in der Hitze des Streites erschlug. Pipin, die Rache jener Brüder fürchtend – denn sie waren so groß an Macht als Gesinnung, und reich begütert in Bayern und Burgund – wußte durch eine weise List dem Ausbruche ihres Schmerzes zu begegnen. Noch ehe der Todtschlag ruchbar geworden, versammelte er seine Großen und unter diesen Herrn Otkar bei sich. Als sie erschienen, sprach Pipin zu jenen: »Wie bedünkt euch wohl, daß einem Uebel, dem in keinem Falle abzuhelfen, zu begegnen sei?« Nicht ahnend das Ziel[67] dieser Rede, erwiederte Herr Otkar: »Solches Uebel wahrlich ist mit Gleichmuth zu ertragen.« Als ihm nun der König hierauf den entsetzlichen Unfall entdecket, verhüllte der unglückliche Vater seinen gränzenlosen Schmerz in ein tiefes, anhaltendes Schweigen. Nach langer Trauer aber kamen beide Brüder des Entschlusses überein, der Welt auf immer zu entsagen. Nun hatten sie schon früher am Tegrinsee, im bayerischen Südgau, das Kirchlein St. Salvators auf ihrem Vatergut gegründet. Sie befahlen jetzt, den Wald an dem Ufer des Sees zu lichten, und beschlossen dicht an jener Kirche ein Gotteshaus zu stiften, und all' ihr Besitzthum in diesen Gegenden, dem Altare zu weihen. Um aber andächtige Sehnsucht zu stillen, und für die zu gründende Kirche ein hochgefeiertes Heilthum zu erwerben, erhob sich das erleuchtete Brüderpaar vor Allem zu einer Pilgerfahrt nach Rom. Versehen mit St. Winfrieds Briefen, der sie in so herrlichem Entschluß mächtig bestärket, erreichten sie die sieben heiligen Hügel gerade in dem Augenblick, als jener Königin der Städte durch einen Einfall heidnischer Seeräuber das fürchterlichste Unglück drohte. Da erhoben sich die gottbetrauten Männer, angeflammt durch die Rede des Hirtens der Christen, und erschüttert durch das Bedrängniß der Kirche, noch einmal zu Uebung ihrer Ritterpflicht; stellten sich an die Spitze der Römer, überwanden und züchtigten die Frevler, und kehrten mit Sieges-Trophäen zum Grab der Fürstenapostel zurück. Zum Lohne so herrlicher That erbaten sich die frommen Helden nun den Leib St. Quirins vom heiligen Vater zum Geschenke. Quirinus, ein Sohn Kaiser Philipps, hatte durch seine Mutter Severa zur christlichen Lehre hingewendet, durch Papst Fabian in die Kirche aufgenommen, den Umgang ihrer trefflichsten Bekenner durch zwanzig Jahre genossen. In ihrer Mitte blühte der heilige Jüngling, bis Claudius den Thron der Cäsaren bestieg, und die Verfolgung der Christen mit neuer Wuth begann. Da ward denn auch Quirin gewürdigt, ein Blutzeuge Christi zu werden. Der Kaiser ließ ihn ergreifen, peinigen, enthaupten und seinen Körper in die Tiber versenken. Doch ward der Leichnam durch einen Priester gefunden und in dem Kirchhof St. Pontiani bestattet. Aber bald verbreitete sich der Ruf der diesem Grabe entströmenden Wunder durch Rom und die Welt. Ja das Zutrauen der Römer zu St. Quirin war nun so hoch gestiegen, daß der Papst Bedenken nehmen mußte, in Adalberts und Otkars Bitte geradehin und öffentlich zu willigen. Doch versprach er den erbetenen Schatz einem Boten, den sie später senden sollten, unter dem Siegel des[68] Geheimnisses zu übergeben. Beruhigt durch diese Zusage kehrten die frommen Brüder mit dem Segen des Papstes über die Alpen zurück. Und während sie nun hier beschäftigt waren, Alles für den Empfang des erwählten Patrons ihrer Stiftung zu bereiten, eilte ihr Schwestersohn Uto nach Rom, um das zugesagte Kleinod in der Stille zu erheben und über die Alpen zu geleiten. Dort, wo das Heiligthum den letzten Abend geruht, unfern des Sees, entsprang eine Quelle voll Heilkraft. So war denn schon die erste Stunde der Ankunft des Patrones segenbringend für die Gegend, alle Bewohner strömten im Festkleide dem Zuge entgegen, und geleiteten den Sarg mit Gebeten und Hymnen zur Salvatorskirche, wo er ruhen sollte, bis das neue Gotteshaus vollendet.

Endlich, im siebenhundert vier und fünfzigsten Jahre der Geburt des Erlösers, ward die feierliche Weihe der Klosterkirche vollzogen. Die Bischöfe von Salzburg, Regensburg und Freising verherrlichten das Fest, und geleiteten an der Spitze der Priester, das Heiligthum aus dem Kirchlein in die Gruft des neuen Tempels. In dieser Stunde vollzogen auch die Stifter ihr Gelübde, der Welt für immer zu entsagen, vertauschten ihre Waffen mit dem Ordenskleide Benedikts, und legten den Stiftungsbrief nieder auf St. Quirins Altar. Der Papst, der König und der Fürst des Landes genehmigten die heilige Handlung, und nicht minder bestätigten sie den unter Leitung des Bischofs von den Mönchen einstimmig zum Abte gewählten Graf Adalbert, in dieser seiner neuen wohlverdienten Würde.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 67-69.
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