74. Der Teufel und der Wind.

[76] Von G.F.N. Die Sage mündlich.


München in dem Bayerlande zieren Thürme manigfalt,

Zwei doch ragen hoch vor allen von gewaltiger Gestalt.


Viel der Jahre sind entflohen, seit man sie so stolz gebaut,

Seit von ihrer Kuppel nieder schon des Wächters Auge schaut.


Als die Kirche schön vollendet prangte über Stadt und Au,

Und zum Dome man sie weihen wollte Unsrer lieben Frau,


Aergerniß der böse Satan ob des schönen Bau's empfand,

Den er alsbald zu zerstören mit dem Nordwind sich verband.
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Dieser stürmte um die Mauern, zu verwandeln sie in Staub,

In den innern Hallen strebte Jener nach der Schätze Raub.


Doch als er am Hinterthore unterm Chore trat hinein,

Und er durch die hohen Säulen sah nicht eines Fensters Schein,


Ist er wieder fortgegangen, hat den eitlen Bau verlacht,

Dessen Inn'rem (wie er meinte) strahlet nie der Sonne Pracht.


Wo des Satans Fuß gestanden, ist er eingeprägt in Stein,

Und die Frauenthürme werden Zeuge später Nachwelt sein,


Daß die Gott geweihte Kirche, daß des Glaubens frommes Licht

Beugen kann des Teufels Sinnen, kann der Winde Wüthen nicht;


Denn ob seit vierhundert Jahren mächtig auch der Nordwind schnaubt,

Ragt, trotz Allem, sonder Wanken, hoch der Thürme festes Haupt.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 76-77.
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