560. Wie Brzetislaus Juditha aus Regensburg entführt.

[114] Pfeffinger Vitriar. illustr. I., 501. Gemeiner's Regensb. Chronik I., 154. Crusius Schwäb. Chronik I., 427. C.v. Falkenstein Kaisersagen etc. S. 120.


Zu Regensburg lebte eine überaus schöne Nonne, Judith geheißen. Sie war die jüngste Tochter eines Grafen vom Rheine, genannt Otto der Weise. Brzetislaus, Herzog zu Böhmen, vernahm die Kunde von der hohen Schönheit der Nonne. Eine ungestüme Lust, sich von der Wahrheit derselben zu überzeugen, ward in ihm rege. Still rüstete er daher eine Zahl Gewappneter, ließ seinem Vater, Herzog Ulrich, hinterbringen, daß er zur Uebung ritterlicher Tugenden sich an den kaiserlichen Hof begebe, und zog rasch gen Regensburg hinaus. Als der Herzog zum Kloster gelangte, umstellte er es mit seinen Getreuen, und wie der Gottesdienst anhub, drang er in dasselbe ein. Seinem Späherauge entging die Grafentochter nicht, bald erblickte er sie, welche dem männlich wohlgestalteten Jüngling einen vollen Blick ihrer Schönheit gewährte; und von Liebe hingerissen, ergriff er die Nonne, eilte mit ihr aus der Kapelle, hob sie auf sein muthiges Roß und entfloh.

Die Klosterdiener aber waren ihm nachgeeilt und hatten eine mächtige Kette vor das Thor gespannt, zu verhindern die Flucht des Nonnenräubers. Da riß Brzetislaus sein Schwert heraus, spaltete die Eisenkette in der Mitte von einander, indeß sein Gefolge tapfer sich durch die andringenden Klosterknechte schlug und ihm nachfolgte. Mit der Entführten glücklich[114] in Böhmen angelangt, meldete der Herzog seinem Vater das Abenteuer, und wie gnadenvoll ihn Gott beschirmt und erhalten habe, und erhielt die schöne Judith zur Gemahlin. Graf Otto beklagte sich heftig beim Kaiser über die gewaltthätige Handlung des Brzetislaus. Kaiser Konrad begnadigte zwar den jungen Herzog, befahl ihm jedoch, Böhmen zu verlassen, und sich mit seiner Gemahlin nach Mähren zu begeben, welches Land Herzog Ulrich seinem Sohne schenkte. Dies geschah anno 1026. Die gespaltene Kette ist lange Zeit im Kloster zu Regensburg aufbewahrt, und als ein Wunderwerk betrachtet worden. Nach ihrem Tode wurde die Herzogin Judith in einer Kirche zu Prag beigesetzt.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 114-115.
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