642. Eppelin von Geilingen.

[191] Von R. E. Prutz. – Vgl. Sagenbuch I., 150.


Nun sitzst du fest! nun sitzst du gut,

Nun hat man dich, o Eppelin!

In Nürnbergs Bann, in sichrer Hut,

Nun sollst du nimmer uns entfliehn!

Der unsere Felder oft verbrannt,

Der Mönche Graus, der Krämer Schrecken,

Nun mußt du, Ketten an der Hand,

Auf ein verfaultes Stroh dich strecken!


Was? Murrst du noch? Von Krämerpack,

Das dich im Dunkeln überfiel?

Von Tütendrehern, Pfeffersack,

Von Mönchshabit und Gänsekiel?

Nimm dich in Acht! die Kutte siegt,

Du hast auf's Jus dich schlecht verstanden:

Der Schreiber schreibt – und wieder liegt

Simson in der Philister Banden! –


Hast du das Pochen nicht gehört

Die Nacht hindurch, dicht hier am Platz?

Du meinst, dich hätt' es nicht gestört,

Geschlafen hättst du »wie ein Ratz« –

Nun hüt' dich Gott, verlorner Mann!

Der Morgen tagt, die Hämmer schweigen,

Der Galgen steht! – Nun schick' dich an,

Die schwanke Leiter zu besteigen! –


Die Rathsherrn standen – nicht zu nah,

Auch keine Waffe trug er mehr:

Und doch, da man ihn kommen sah,

Ein Frösteln gab es rings umher.

Er aber sah sich trotzig um,

Den Galgen maß er mit den Blicken:

»Gott's Kreuz und Stern! 's ist doch zu dumm

Mich an ein solches Holz zu schicken.«


Drauf, weil den armen Sündern gern

Ein letzter Imbiß wird bescheert,

So auch von Nürnbergs weisen Herrn

Ward ihm ein letzter Trunk verehrt.

Der Bürgermeister in Person

Kredenzte selbst den goldnen Becher,

Er dachte: Einmal thu' ich's schon,

Dann aber ist's vorbei, Herr Zecher.


Der aber rief: »Was soll das Ding?

Ich trank fürwahr des Weins genug,

Da ich noch reiche Krämer fing

Und Klosterkeller noch zerschlug.

Der Teufel lohn' Euch Euren Schmaus!

Doch wollt Ihr Gutes mir erzeigen,

Wohlan! so führt mein Roß heraus

Und laßt's noch einmal mich besteigen!
[191]

Was einem Ritter solch ein Thier,

Euch freilich ist es unbekannt,

Auf Holz und Leder reitet Ihr,

Statt Schwerts die Feder in der Hand;

Mich aber trug, Jahr aus Jahr ein,

Es treu durch tausend Fährlichkeiten;

Drum – muß es denn gehangen seyn,

So laßt zum Galgen noch mich reiten!«


Die Rathsherrn wurden blaß und roth,

Sie steckten ängstlich Kopf an Kopf,

Bis Einer sprach: »Es hat nicht Noth,

Vergönnen wir's dem armen Tropf!

Ich schob die Riegel selber zu,

Auch sind die Angeln neu beschlagen,

Die Mauer mißt bei zwanzig Schuh:

Herr Bruder, topp, es läßt sich wagen.«


Schon kommt das Roß: das stand im Stall,

Gefüttert schlecht und schlecht getränkt,

Rauh war's und zottig überall,

Sein Auge matt, sein Haupt gesenkt:

Doch wie es seinen Herren sah

Und seine Stimme hört' es rufen,

Laut wiehert' es vor Freude da

Und schlug den Grund mit starken Hufen!


Es spitzt das Ohr, es beißt den Zaum,

Die Mähne steigt, das Auge blitzt,

Indeß die Nüster Dampf und Schaum

Wie weiße Blüthenflocken spritzt:

Los reißt es sich, bricht aus in Hast,

Sprengt in Galopp in weitem Kreise:

Dann vor dem Herrn hält es gefaßt

Und schmeichelt ihm nach Hündchen Weise.


Deß freut Herr Eppelin sich baß,

Nicht Tonnen Goldes nähm' er da,

Ja fast das Auge ward im naß,

Als er sein Rößlein wieder sah.

Rasch in den Sattel schwang er sich –

Die Rathsherrn selber mußten sagen,

Daß edlern Ritter sicherlich

Niemals ein edler' Roß getragen.


Und wie er saß auf hohem Roß,

Blickt in die Lande weit hinein –

Dort, dicht am Wald, das ist sein Schloß,

Es blinkt und winkt im Sonnenschein!

Und wie gemach das Thal entlang

Die langentwöhnten Blicke schweifen,

Fühlt er des Lebens süßen Drang

Noch einmal seine Brust ergreifen.


Im Sattel hebt er sich empor,

Er mißt die Mauer ungesehn,

Er flüstert in des Rößleins Ohr,

Das scheint ihn wiehernd zu verstehn –

Die Rathsherrn sahn sich schmunzelnd an,

Die strengen Mienen wurden heiter:

Das nenn ich reiten, Herr Kumpan!

'S ist Schad' beinah um solchen Reiter!


Und wie das Volk noch lauschend stand,

Bewunderung jedes Angesicht –

Der Henker selbst den Strick zur Hand,

Erwehrte sich des Beifalls nicht – –

Ein Satz, Ein Sprung! – und hoch im Nu,

Als hätten Flügel ihn gehoben –!!

Die Mauer maß bei zwanzig Schuh,

Auch war der Riegel vorgeschoben.


Das war ein Lärm, der war nicht schlecht!

Die Einen blieben sprachlos stehn,

Die Andern kamen eben recht,

Den Ritter frisch und wohl zu sehn:

Und sehn noch just im Morgenlicht

Nach seinem Schloß ihn friedlich traben –

Die Nürnberger henken Keinen nicht,

Es wäre denn, daß sie ihn haben.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 191-192.
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