3.

[139] Ein Zwerg kam zu einem Schuster und bot sich ihm als Geselle an. Der Schuster hatte gerade viel Arbeit, er war deshalb bereit ihn als solchen anzunehmen und fragte ihn, wie viel Lohn er haben wolle. Da forderte der Zwerg wöchentlich 24 Thaler. Der Schuster sagte, das wäre viel Geld und er wäre doch so klein; was er denn arbeiten könne? Ja, sagte der Zwerg, der Lohn sei allerdings hoch, aber seine Arbeit sei dessen würdig; er wolle ihm in jeder Woche 24 Paar große Reiterstiefel machen. So nahm ihn denn der Schuster an. Am andern Morgen aber fing der Zwerg nicht etwa an zu arbeiten, sondern machte es sich bequem und ging im Hause herum. Der Schuster erinnerte ihn nun an sein Versprechen; jener antworte, das werde er schon halten, that aber dennoch nichts. So wurde es Sonnabend; und auch dieser Tag ging hin, ohne daß der Zwerg arbeitete. Nachts 11 Uhr regte sich etwas im Hause und mit einem Male war das ganze Haus voll Zwerge. Der Schuster, der mit seiner Frau schon zu Bette gegangen war, hörte das Geräusch und wurde neugierig. Er sah also durch das Schlüsselloch.[139] Da fand er Hausflur und Stube ganz mit Zwergen angefüllt. Die einen schnitten zu, die anderen nähten, der Geselle aber saß müßig mitten darunter und rauchte. Plötzlich sagte einer der Zwerge: »Meister, er guckt!« »Laß ihn gucken!« war die Antwort. Dieß wiederholte sich dreimal; das vierte Mal aber sagte der Meister: »stoß ihm das Auge aus!« Da stieß jener dem Schuster mit dem Pfriemen das Auge aus. Nun ging dieser zu seiner Frau zurück und erzählte ihr, was er gesehen habe und wie es ihm ergangen sei. Die Frau rieth ihm, nicht wieder hinzugehn. Das Arbeiten der Zwerge im Hause dauerte bis ein Uhr fort, dann ward alles wieder still. Als am anderen Morgen die Frau aufgestanden war, gab sie dem Zwerge die 24 Thaler und sagte ihm, er könne nun gehn. Doch dieser fragte, wo der Meister wäre, er wolle ihn gern sprechen. Die Frau erwiederte es könne nicht geschehen, denn ihr Mann sei krank. Der Zwerg fragte weiter: was ihm denn fehle? das wisse sie nicht, war ihre Antwort. Der Zwerg drang aber in sie, sie möchte ihren Mann einmal rufen, und fügte hinzu, vielleicht könne er ihm helfen. Endlich holte sie ihren Mann herbei. Als der Zwerg diesen nun fragte, was ihm fehle, erzählte er, wie er die Zwerge habe arbeiten sehen und wie es ihm weiter ergangen sei. Da blies ihm der Zwerg ins Auge und sprach dabei die Worte: »ein ander Mal laß dein Gucken!« Der Schuster aber konnte von dem Augenblicke an mit dem Auge wieder sehen.

Quelle:
Georg Schambach / Wilhelm Müller: Niedersächsische Sagen und Märchen. Göttingen 1855, S. 139-140.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Niedersächsische Sagen und Märchen
Niedersächsische Sagen und Märchen : Aus dem Munde des Volkes gesammelt und mit Anmerkungen und Abhandlungen herausgegeben. Nachdruck 1979 d. Ausgabe Göttingen 1855.