255. Zeichen der Unschuld.

[242] Bei Speele ist der Eichenberg, der von einer darauf stehenden Eiche den Namen hat, unter welcher das Gras niemals grün wird. – Einem Kindermädchen war von seiner Herrschaft ein Kind zur Wartung übergeben. Da aber dieses gar nicht zunehmen und gedeihen wollte, so machte sich das Mädchen Klopfmilch und legte das Kind, welches Nachts bei ihr schlief, an ihre Brust. Wie sie es nun wieder einmal an ihrer Brust hatte, kam die Herrschaft dazu. Das Mädchen kam dadurch in den Verdacht ein Kind geboren und dasselbe getödtet zu haben. Sie ward also vor Gericht gestellt und, so viel sie auch ihre Unschuld betheuern mochte, dennoch zum Tode verurtheilt. Zum Richtplatze war der jetzige Eichenberg ausersehen. Als nun das Mädchen dahin gebracht war, betheuerte sie noch einmal vor Gott und den Menschen ihre Unschuld und erklärte, sie wäre so gewis unschuldig, wie auf dem Richtplatze eine Eiche wachsen und das Gras unter der Eiche stets verdorren werde. Dennoch wurde sie hingerichtet; an der Stelle aber, wo sie den Tod erlitt, ist eine Eiche emporgewachsen, unter welcher das Gras noch jetzt immer verdorrt.

Quelle:
Georg Schambach / Wilhelm Müller: Niedersächsische Sagen und Märchen. Göttingen 1855, S. 242.
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Niedersächsische Sagen und Märchen
Niedersächsische Sagen und Märchen : Aus dem Munde des Volkes gesammelt und mit Anmerkungen und Abhandlungen herausgegeben. Nachdruck 1979 d. Ausgabe Göttingen 1855.