93. Die Frau in der Sonne.

[67] Eine Frau konnte, so oft sie gewaschen hatte, ihre Wäsche auf die Sonnenlinie hängen und so trocknen. Einst hatte sie wieder Wäsche aufgehängt, als gerade ein armer Sünder vorbeigeführt wurde, der hingerichtet werden sollte. Alle Leute bedauerten ihn; nur die Frau sagte, er werde es wohl verdient haben, sonst würde er nicht gerichtet. Kaum hatte sie dieß gesagt, als auch ihre Wäsche herunter fiel; nachher konnte sie nie wieder ihre Wäsche auf die Sonnenlinie hängen. Als sie starb, kam sie in die Sonne, wo sie bleiben muß, so lange die Welt steht.

Quelle:
Georg Schambach / Wilhelm Müller: Niedersächsische Sagen und Märchen. Göttingen 1855, S. 67.
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Niedersächsische Sagen und Märchen
Niedersächsische Sagen und Märchen : Aus dem Munde des Volkes gesammelt und mit Anmerkungen und Abhandlungen herausgegeben. Nachdruck 1979 d. Ausgabe Göttingen 1855.