Dritter Akt


[219] Bühne wie in den beiden ersten Aufzügen. Die Wände sind aber mit bunten Guirlanden geschmückt. Der Bürgermeister sitzt mit seinen beiden Sekretären und mit seinen Ratsherren genau so am dreieckigen Tisch wie im zweiten Aufzuge.


WIEDEWITT aufstehend. Freunde! Ratsherren! Mitbürger! Zeitgenossen! Es ist leider leider kein gutes Zeichen, dass der Kaiser nicht von uns am Bahnhofe empfangen werden will. Aber – wir wollen nicht verzagen. Setzt sich.

ERSTER RATSHERR. Er muss schon in Schilda sein.

ZWEITER RATSHERR. Ob er gleich hierher kommen wird?

WIEDEWITT. Horcht nur! Sie kommen schon! Nun nehmt Euch zusammen!


Prächtig uniformierte, aber nicht bewaffnete Hofbeamte kommen von rechts und von links hinter einander herein und stellen sich steif in Reih und Glied an den Wänden auf. Die Ratsherren am dreieckigen Tisch erheben sich und verbeugen sich mehrfach sehr untertänig, aber die Hofbeamten tun furchtbar vornehm und erwidern die Grüsse nicht im Mindesten, worüber die Schildbürger in nicht

geringe Verlegenheit[219] geraten. Zuletzt kommt der Kaiser mit riesig grossem weissen Bart, langem purpurroten Gürtelrock und einer goldenen ganz einfachen Zackenkrone. Wiedewitt eilt dem Kaiser entgegen und bietet ihm seinen Sitz an und setzt sich, nachdem sich der Kaiser gesetzt hat, zu seiner Rechten. Die andern Ratsherren setzen sich auch; einer muss stehen und weiss nicht, wo er stehen soll, und rennt nun aufgeregt herum.


KAISER. Schildbürger, stell Dich hinter mich!


Der Ratsherr tuts.


WIEDEWITT steht auf. Im Namen Schildas danke ich für den ehrenden Besuch des Kaisers von Utopia aufs Herzlichste. Der Kaiser Philander der Siebente lebe hoch! Dreimaliges Hochgebrüll der Ratsherren.

KAISER. Oberbürgermeister, setz Dich ruhig hin.

WIEDEWITT sich setzend. Ich danke dafür, dass ich mich setzen darf, dem Kaiser von Utopia aufs Herzlichste.

KAISER. Ja, Kinder! Nun wollen wir mal einen vernünftigen Ton reden. Schildbürger, der Du hinter mir stehst, sage mir noch ein Mal ganz grade heraus: weswegen habt Ihr den Uniform-Verein und den Titular-Verein gegründet? Ganz grade heraus!

DER RATSHERR hinter dem Kaiser. Um dick und fett dadurch zu werden. Die Hofbeamten lachen laut auf.

DER KAISER schmunzelnd. Nun – da die Sache so liegt, so will ich an Eure Harmlosigkeit glauben – wenn Ihr mir die folgenden Wünsche, die ich gleich aussprechen werde, erfüllen könnt!

WIEDEWITT. Wir tun gern Alles, was der Kaiser wünscht; wir sind reichstreu und meinen Alles ehrlich.

VON MOELLERKUCHEN. Das kann uns doch nur Vorteile bringen.

KAISER. Gut! Das ist ehrlich! Aber – könnt Ihr Eure Frauen auch uniformieren?

DIE SCHILDBÜRGER lebhaft. Jawohl!

KAISER. Könnt Ihr auch die neugeborenen Kinder uniformieren[220] – gleich nach der Geburt?

DIE SCHILDBÜRGER noch lebhafter. Jawohl!

KAISER. Könnt Ihr auch Eure Häuser uniformieren?

WIEDEWITT. Das werden wir auch schon machen.

KAISER. Könnt Ihr auch Eure Strassen uniformieren?

KÄSEBERG. Ih, das kriegen wir auch noch fertig.

KAISER. So! So! Na – könnt Ihr auch Euren Himmel uniformieren? Ein sprachloses Erstaunen erfasst die Schildbürger – die Hofleute lächeln.

KAISER steht auf. Wenn Ihr in acht Tagen nicht wisst, wie Ihr den Himmel uniformieren könnt, so lass ich Euch Allen die Köpfe abschlagen. So – nu denkt ordentlich nach! Er geht hinaus, die Schildbürger fassen sich an den Kopf und ringen die Hände – die Hofleute lachen herzlich und folgen dem Kaiser.


Vorhang!


Quelle:
Paul Scheerbart: Gesammelte Arbeiten für das Theater. Band 1, München 1977, S. 219-221.
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