Fünfter Akt


[223] Bühne wie im dritten Aufzuge; die Guirlanden sind wieder ordentlich angebracht. Der Kaiser sitzt wieder mit den Schildbürgern am dreieckigen Tisch und streicht sich nachdenklich den Bart, die an den Wänden stehenden Hofbeamten tun desgleichen. Alle Schildbürger sitzen.


KAISER. Ihr habt es fertig gebracht, den Himmel zu uniformieren; Ihr spanntet einfach gelbe und rote Tuchstreifen über die ganze Stadt. Ihr machtet einen grossen Oberbürgermeistershut zu Eurem Himmel. Na – Ehre, dem Ehre gebührt. Jedoch daraus ersieht jeder vernünftige Einwohner von Utopia, dass Ihr garnicht so dumm seid – wie Ihr Euch anstellt. Und daraus geht wieder hervor, dass Ihr Euch lustig machen wolltet – über meine Residenz einerseits und über mich selbst andrerseits. Eure famosen Gründungen sollen nicht in Vergessenheit geraten. Und deshalb sollt Ihr Alle an den Galgen. Ich werde Euch an den Beinen aufhängen lassen – Ihr seid[223] ganz infame Narren – ich werds Euch zeigen.


Steht auf.


WIEDEWITT steht auch auf. Gnädigster Herr Kaiser, Ihr haltet uns für schlecht, und wir sinds doch nicht. Wenn der Herr Kaiser gesehen hätten, wie wir geschwitzt haben beim Nachdenken – und wie ich auf die Idee von der überspannten Stadt nur durch diesen meinen Oberbürgermeistershut gekommen bin Er gibt dem Kaiser seine Kappe. – Ihr würdet uns nicht an den Beinen aufhängen wollen. Wir sind wirklich alle so beschränkt im Verstande – wie wir aussehen.

DIE SCHILDBÜRGER durch einander. Ja, das sind wir! Das stimmt! Wir sind nicht so klug! Wir sind reichstreu.

WIEDEWITT. Lieber Kaiser, sei mal Oberbürgermeister von Schilda – eine kurze Zeit – dann wirst Du einsehen, was für prächtige Untertanen die Schildbürger sind.

KAISER. Ha! Das lässt sich hören! Der Gedanke gefällt mir. Also schön, Kerls! Ich will Euch noch mal begnadigen – unter der Bedingung, dass Ihr Mich – für ein Jahr – zum Oberbürgermeister von Schilda erwählt – und Euren alten Wiedewitt mit meiner Krone aufm Kopf in meine Residenz – als Kaiser einziehen lasst.


Schildbürger springen wild auf, johlen und schreien vor Vergnügen, umarmen sich, küssen dem Kaiser die Hände und den Saum des Gewandes, während sich der Kaiser die Kappe und der

Oberbürgermeister die Krone aufsetzt.


WIEDEWITT. Schildbürger, huldigt meinem Nachfolger!

SCHILDBÜRGER durch einander. Das ist herrlich! Das ist ein ulkiger Oberbürgermeister! Feine Nummer! Der muss auf den Tisch! Hurrah! Helft ihm rauf! Rauf!


Und man hebt den Kaiser fast mit Gewalt auf den dreieckigen Tisch, der kaum drei Viertel Meter hoch ist, hinauf. Dann fallen alle Schildbürger [mit Ausnahme des Wiedewitt, der alle Hofbeamten hinter einander mit dem rechten Zeigefinger betupft, wobei sie alle respektlos lachen] neben den Stühlen auf die Kniee und singen:


Wir loben Dich,

Wir preisen Dich,[224]

Wir sind Dir furchtbar gut;

Du trägst ja jetzt auch unsern

Oberbürgermeistershut.


Hiernach sind die Schildbürger plötzlich ganz still, als wenn sie beten – die Hofleute lachen nicht mehr – der Kaiser kraut sich hinter den Ohren.


WIEDEWITT nach einer Weile mit sehr starker Stimme. Hofbeamte! Da Ihr bei der feierlichen landesüblichen Einweihung des neuen Oberbürgermeisters sämtlich respektlos gelacht habt, werdet Ihr zu acht Tagen Gefängnis verurteilt – bei Wasser und Brot. Jetzt schert Euch sofort raus, sonst soll Euch das Donnerwetter holen. Die Hofbeamten gehen erschrocken eiligst ab, der Kaiser kraut sich zum zweiten Mal hinterm Ohr. Dir aber, Oberbürgermeister Philander, der Du da auf dem Tische stehst, befehle ich, Dein Amt ordentlich zu verwalten, sonst komme ich nach Schilda und schlage hier Alles kurz und klein. Merk Dir das!


Wiedewitt geht sehr majestätisch ab, und der Kaiser, der jetzt mit den Schildbürgern allein bleibt, kraut sich zum dritten Male hinter den Ohren. Die Ratsherren und Sekretäre stehen auf, fassen sich an die Hände und umtanzen den dreieckigen Tisch, auf dem jetzt der Kaiser mit untergeschlagenen Armen wie ein Denkmal dasteht, während die Ratsherren und Sekretäre ihr Lied von vorhin wiederholen – aber im schnelleren Tempo – wobei sie ausgelassen immer höher springen und alle Stühle umwerfen.

Der Vorhang!
[225]

Quelle:
Paul Scheerbart: Gesammelte Arbeiten für das Theater. Band 1, München 1977, S. 223-226.
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