Sechstes Kapitel

[82] Die Mongolen reiten langsam um die Sternwarte rum und spitzen die Ohren – sie hören was.

Sie zügeln ihre schwarzen Rosse und horchen, weit über den Kopf der Pferde gebeugt, in das Dunkel hinein.

Dann erkennen sie die Stimmen, reiten rasch an den Turm, der oben den Empfangssaal trägt, und wecken die Schwarzen.[82]

Nach ein paar Augenblicken sind die zwölf schwarzen Sklaven mit zwölf Fackeln draußen.

Die Sklaven eilen mit den Fackeln dem Herrn Battany, der mit seinen Freunden, den Mädchen, den Flötenspielern und Weinschläuchen langsam näher kommt, diensteifrig entgegen.

Die Fackeln erleuchten den Pfad.

Die Mongolen sitzen auf ihren Pferden ganz stramm.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und bald sind Alle oben im Empfangssaal.

Nur die Mongolen sind unten geblieben.

Der Herr Battany ist guter Dinge und schickt gleich die Flötenspieler in den dritten Turm, in dem er gewöhnlich zu arbeiten pflegt.

Die Sklaven mit den Fackeln werden auf den Galerieen, den beiden anderen Türmen und auf dem Altane verteilt.

Auf dem fünfeckigen Altan leuchten jetzt fünf Fackeln in fünf schwarzen Fäusten.

Die drei Mädchen schenken den Wein in die großen Becher.

Und Alle trinken die großen Becher in einem Zuge aus.

Und dann küssen die drei Mädchen den Battany und seine sieben Freunde so stürmisch, daß Allen ganz schwindlig wird.

Jetzt wirds sehr laut.

Alles lacht und schreit.

Der Wein berauscht.

Und Abla will singen – doch sie will nur singen auf Abu Maschars hohem Turm – Abu Maschar soll mitkommen.

Der Prophet geht schließlich lächelnd mit der weißen Abla auf seinen Turm.

Und Abla singt oben den neuesten Gassenhauer – die berühmten Sareppa-Strophen, die im Jahre 892 nach Christi Geburt in allen Schenken Bagdads gesungen wurden.

Die Strophen waren von einem unbekannten Sänger der berüchtigten Sareppa gewidmet.[83]

Die Sareppa ist eine schlitzäugige Mongolin, die besser reiten kann als die Beduinen.

Die Abla singt:


»Warum bist Du bös auf mich,

Wilder brauner Wüstensohn?

Warum bist Du ärgerlich?

Ist das meiner Liebe Lohn?

Schenk mir Dein Roß –

Und schenke mir Rosen!

Liebst mich heute ganz allein –

Morgen muß es anders sein.


Komm wieder rein!

Ich schenk Dir Wein!

Willst Du eifersüchtig sein?

Ach, Du bist es nicht allein –

Hör doch meine Freunde schrein –

Jeder will mich heut schon frein –

Schenk mir Dein Roß!

Komm wieder rein!


Willst Du meine Freunde schlagen,

Steigst Du noch in meiner Gunst.

Mußt Dein Leben für mich wagen,

Sonst ist Lieben keine Kunst.

Schenk mir Dein Roß –

Und schenke mir Rosen!

Liebst mich heute ganz allein –

Morgen muß es anders sein.«


Alle lauschten – die Strophen klangen weich und voll durch die Nacht.

Die Fackeln flammten unheimlich in den Sternenhimmel hinauf.

Unten flüsterten die Mongolen – oh – die kannten die Sareppa.

Die Abla hatte nicht so gesungen, wie man die Sareppa-Strophen[84] in den Schenken zu singen pflegt – Manches hatte so schwermütig geklungen.

Im Empfangssaal hätten die Männer beinah das Trinken vergessen ...

Doch die Menschen werden so anders, wenn sie beim Trinken sind.

Jakuby wackelt immer mit dem Kopf und mit seinem lila Turban – redet fortwährend zu Osman von Byzanz und von Damaskus, setzt dem dicken Schreiber auseinander, daß er in diesen beiden Städten jede einzelne Sängerin gehört habe. Osman will das garnicht glauben.

Battany ist zur Sailóndula sehr höflich, ist entzückt von ihren kleinen Füßen, ihren Veilchen und ihren Augen – nur ihr weingrünes Gewand will ihm nicht gefallen.

Kodama streichelt der Tarub die braunen Wangen und raubt ihr eine dunkelrote Rose.

Suleiman sitzt auf dem großen Teppich, trinkt und lacht, wundert sich, daß die Andern nicht auch sitzen und lachen. Die Andern lächeln nur.

Abu Hischam und Safur stehen auf dem fünfeckigen Altan und reden mit einem fürchterlichen Eifer über die Welt und über den Genuß. Die Schwarzen mit den Fackeln staunen.

Kodama singt:


»Schenk mir Dein Roß –

Und schenke mir Rosen!«


Und der Dicke trinkt mit der Tarub – er ist schon recht heiter.

Sailóndula schaut zuweilen scheu zu dem indischen Götzenbild hinüber.

In Battanys Arbeitszimmer flöten die Flötenspieler – sie haben auch Wein zu trinken bekommen.

Abu Hischam sagt:

»Lieber Safur, wir täuschen uns ja so oft. Wenn wir träumen, denken wir doch immer – wir wachen. Müssen[85] wir deswegen nicht auch in unseren wachen Augenblicken – an unserm Wachsein zweifeln? Wenn wir aber erst zweifeln, daß dieser Altan ein Altan ist, so wird uns doch der Boden unter den Füßen fortgezogen – dann schwankt alles – ja, Safur, dann schwankt Alles!«

Und der Philosoph schwankte wirklich, worüber Safur sehr lachen mußte.

Sie tranken wieder – Saids Diener schenkten diensteifrig immer von Neuem die großen Becher voll – der erste Weinschlauch lag schon schlaff hinter dem kupfernen Himmelsglobus.

Abu Hischam spricht weiter:

»Ja, Safur, Du hältst Dich für einen großen Schlaukopf. Du willst immer mit Deinen Sinnen genießen – ei, wenn Deine Sinne garnicht da sind – was dann? Das Zweifeln mußt Du lernen, das Zweifeln hast Du noch nicht raus. Leben heißt zweifeln. Genießen heißt auch nur zweifeln. Immer schwanken muß man. Die großen Weisen schwanken und zweifeln immer. Trotzdem kann man ganz vernünftig sein – man braucht deswegen nicht zum Gewohnheitssäufer zu werden. Man kann trotzdem das Große wollen – die Welt kann noch alle Tage besser werden – für die Entwicklung der Welt müssen wir sogar kämpfen. Das ist ja der Hauptgenuß – wer an der Verbesserung der Welt arbeitet – – – der pfeift auf das Fressen und Saufen – der pfeift!«

Der große Philosoph schwankt und pfeift.

Die Flötenspieler flöten.

Safur legt ernst seine Hand auf Abu Hischams Schulter und redet nun also:

»Du irrst Dich, wenn Du glaubst, daß ich nur mit meinen fünf Sinnen genießen will. Ich will genießen in allen Formen – in jeder Weise – wie – wo – was – das ist mir ganz gleich. Aber Alles will ich genießen – und daher will ich auch mit meinen fünf Sinnen genießen. Immer will ich genießen – daher will ich auch genießen, wenn ich esse.[86] Allerdings – Du sagtest, es gäbe noch eine übersinnliche Welt. Ich glaube ja an diese übersinnliche Welt. Die soll drum auch für mich da sein. Indessen – nur übersinnlichen Genüssen nachgehen – das scheint mir sehr unsinnig. Das kriegen wir ja garnicht fertig. Ich kann doch nicht immerfort an Wüstengeister denken. Allerdings – Du hast Recht. Zu große Bedeutung darf ich den Genüssen der Zunge nicht beimessen.«

Safur denkt nach. Abu Hischam trinkt.

Abu Hischam sieht so furchtbar altbacken aus – nüchtern ist er auch nicht mehr.

Und Ablas Stimme ist nun auf der Galerie nebenbei zu hören, sie singt leise zu Abu Maschar:


»Komm wieder rein!

Ich schenk Dir Wein!«


Das singt sie öfters.

Der Prophet ist gutmütig freundlich zu ihr wie ein milder Vater.

Die Beiden betreten jetzt den Altan.

Safur begrüßt sie sehr freundlich, Abu Hischam sehr spöttisch.

Abu Maschar ist milde wie gewöhnlich.

Die Drei trinken zusammen und reden.

Sie reden aber Dinge, die so schwer verständlich sind, daß sich die weiße Abla traurig abwendet.

Den Schwarzen macht das Fackelhalten wenig Spaß – die Sache ist auch nicht grade leicht.

Abla sieht in den Empfangssaal.

Da brennen oben die maurischen Lampen.

Rechts neben dem kupfernen Waschbecken liegen die vollen – links die leeren Weinschläuche. Im Hintergrunde stehen Saids Diener. In der Mitte des Hintergrundes unter der indischen Götzenfigur liegt der alte Dichter Suleiman und schläft – er ist abgefallen.

Battany wandelt in seiner blauen Sammettoga mit der[87] Sailóndula auf dem großen Teppich umher – so vertraut und gemütlich.

Ungefähr in der Mitte des Teppichs sitzt Kodama neben einem Weinschlauch – im Arme des dicken Geographen befindet sich die Tarub, die sich von dem Dicken lachend küssen läßt und ihm fleißig Wein einschenkt.

Die Flötenspieler spielen nicht – man hört nur reden, lachen und flüstern.

Die beiden Säulen, die zwischen Altan und Empfangssaal die drei Spitzbogen tragen, sind nur dünn und können das Durchsehen nicht hindern ...

Die Abla sieht alles.

Und sie ärgert sich über Kodama und auch über die Tarub, singt spöttisch sehr laut und hell:

»Liebst mich morgen ganz allein –

Heute muß es anders sein.«

Und das singt sie immer wieder, bis das der leichtsinnige Kodama versteht.

Gleichzeitig sieht aber auch der Safur seine Tarub in Kodamas Arm.

Donnerwetter – da wird er wütend.

Der Dicke läßt sich aber nicht leicht aus der Fassung bringen, ruft dem Dichter mit wohltönender Stimme zu:

»Du schlauer Safur – wir sind ja gute Freunde. Unter Freunden nimmt man sich so was doch nicht übel. Ich wollte nur die kleine Abla ein bißchen eifersüchtig machen! Sei wieder gut!«

Safur aber knirscht mit den Zähnen, daß es Alle hören.

Alle sind jedoch ziemlich berauscht, sodaß man diesen knirschenden Wutlauten nicht zu große Bedeutung beimißt.

Nur Battany merkt, daß die Lustigkeit der Zecherei gestört werden könnte, und schreit daher mit donnernder befehlender Stimme:

»Sailóndula wird hier auf unsrem Teppich tanzen. Kodama, steh auf! Safur, sei vernünftig! Trink, Bruder![88] Sailóndula, tanz! Alle Sklaven sollen mit den Fackeln in den Saal kommen!«

Die Rede wirkt.

Man holt die Flötenspieler. Die zwölf Schwarzen kommen mit den Fackeln in den Saal.

Kodama und Tarub stehen auf.

Suleiman wird an die Seite gelegt.

Auch Jakuby erscheint jetzt wieder, er fällt immer hin und fuchtelt mit dem Zeigefinger durch die Luft, was sich sehr albern ausnimmt.

Der dicke Osman kommt auch mit den Flötenspielern zusammen herein, er ist schrecklich lustig und kneift den Schwarzen in die Backen.

Die Schwarzen grinsen.

Sie sehen drollig aus.

Dann aber bittet der große Al Battany seine Freunde auf den jetzt dunkeln Altan hinaus – die Tarub und die Abla werden von ihm ganz besonders höflich gebeten.

Tarub schimpft auf den Safur.

Abla singt dazu:


»Eifersüchtig willst Du sein?

Ach, Du bist es nicht allein!«


Safur lacht und küßt die Abla.

Man trinkt wieder – noch hastiger als bisher.

Wenn Sailóndula tanzt – dann hat das was zu bedeuten.

Schade nur, daß der Suleiman schläft; der sieht so gern tanzen.

Abu Hischam, der kaum stehen kann, will jetzt wieder lallend vom Bunde der lauteren Brüder reden, man hält ihm aber den Mund zu und bittet ihn, sich hinzusetzen.

Ach – die Menschen werden so anders, wenn sie getrunken haben.

Im Empfangssaal thront die indische Götzenfigur – rechts und links neben ihr stehen die Flötenspieler mit den Flöten.[89]

Die Sailóndula im weingrünen Kleide geht in die Mitte des Teppichs und blickt noch einmal scheu zum indischen Götzen hinauf.

Vier Schwarze stellen sich an die hintere Seite des Teppichs – vier rechts und vier links.

Die Fackeln flammen hoch auf.

An der Decke wirbeln die Rauchwolken.

Der indische Götze leuchtet und glänzt.

Auch der kupferne Himmelsglobus wirft das Fackellicht zurück, das kupferne Waschbecken gleichfalls.

Battany sitzt mit Tarub und Abla hinter dem Mittelbogen, die Andern sitzen und stehen hinter und neben dem Astronomen.

Und Sailóndula tanzt.

Die Flötenspieler spielen ein altes indisches Lied – das klingt so weich und getragen.

Langsam bewegt die Sailóndula die Arme durch die Luft und biegt dabei den Körper nach allen Seiten.

Ihre gelben Finger recken sich, und die Arme drehen sich, und die Füße heben sich dabei – nur wenig – nur so zaghaft.

Die Muskeln der Beine spannen sich, und dann dreht sich der ganze Körper der Tänzerin.

Die gelben Glieder drehen sich und beugen sich und krümmen sich – sie bewegen sich – wie sich die Weisen der Flöten bewegen – wie sich Bäume bewegen im Abendwinde – wie sich Schlingpflanzen ranken – wie sich kleine Quellen durch die Wiesen winden.

Und die Fackeln qualmen, daß man das indische Götzenbild kaum mehr sieht.

Man sieht nicht mehr die Decke mit ihren blauen und grünen Mustern auf dem prächtigen Goldgrunde.

Aber man sieht noch die silbernen und roten Querstreifen auf den Wänden, die blitzen oft auf im Fackelschein.

Die Schwarzen stehen tiefernst; mit beiden Fäusten[90] halten sie die Fackeln; ihre orangefarbigen Lendentücher leuchten.

Die zwölf roten Flammen knistern.

Die Flöten ziehen in weichen Tönen durchs Gemach.

Die indische Sailóndula tanzt.

Doch jetzt wollen Alle, daß Sailóndula nackt tanze.

Sie besinnt sich.

Und Battany legt sich aufs Bitten.

Abla bittet den Kodama um die roten Rosen, die er der Tarub geraubt, singt leise:


»Schenk mir Dein Roß –

Und schenke mir Rosen!«


Doch dann tanzt Sailóndula nackt, ihr weingrünes Gewand fliegt hastig an die Seite.

Die Flötenspieler spielen ein wildes Jagdlied.

Hei – wie sich die gelben wunderschönen Glieder jetzt bewegen.

Nicht mehr ruhig ist der Tanz.

Ein wildes tolles verzerrtes Springen und Stampfen geht los.

Der Körper des Mädchens zittert.

Sailóndulas Muskeln schwellen an, daß sie fast so stark erscheinen wie die Muskeln der schwarzen Fackelträger.

Aber jetzt – plötzlich – da weiten sich die Augen der nackten Tänzerin.

Sie sieht was – ein alter indischer Tempel steigt vor ihr auf – mit herrlichen Pforten und reizend durchbrochenen Türmen, die wie Filigrangebilde sich aufrecken – wie Elfenbeinschnitzereien ...

Und neben dem Tempel fließt der heilige Ganges im Fackelschein.

Und ein Jüngling kommt aus dem Tempel raus und starrt die Sailóndula an.

Mit einem gellenden Schrei bricht das Mädchen zusammen.[91]

»Mein Kleid! Mein Kleid!« ruft es angstvoll.

Battany und seine Freunde eilen auf die gelbe Tänzerin zu; sie wissen nicht, was ihr fehlt.

Sie aber reißt sich mit den Nägeln den Busen blutig, daß das Blut ihren gelben Leib hinunterrieselt.

Und dann brechen ihr die Tränen hervor.

»Meine Heimat!« schluchzt sie.

Und dann weint die Sailóndula wie ein Kind – wie ein ganz kleines Kind.

Battany gibt ihr Wein.

Doch sie schlägt ihm den Becher aus der Hand.

Sie weint furchtbar und windet sich dann in Krämpfen.

Quelle:
Paul Scheerbart: Dichterische Hauptwerke. Stuttgart 1962, S. 82-92.
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