Zehntes Kapitel

[112] Der Wind bläst in die Segel, und die Barken schießen stromauf.

Die Wellen schaukeln.

Es ist angenehm kühl auf dem Tigris.

Es ist Nacht.

Der Mond steht fast voll hoch am Himmel.

Suleiman hat ein Märchen erzählt.

Nun soll Safur eine wahre Geschichte erzählen.

Sie sitzen in Saids großer Barke – hinten – hinter dem großen Segel.[112]

Battany und seine sieben Freunde sinds, die in Saids großer Barke sitzen.

Said mit seinen drei Köchinnen ist auch in der Barke.

Die Tarub zerschneidet vorne eine große Nußtorte und kümmert sich nicht um die Gesellschaft.

Und Safur, der sehr ernst dreinschaut, erzählt:

»Ein junger Beduine saß bei der alten Dschellabany und trank mit ihren hübschen Sängerinnen – Wein. Das Trinken war sehr gemütlich, denn die Sonne stand noch sehr hoch. – – – Die Mädchen sind ein bißchen faul, und der Beduine spaßt nicht mehr mit ihnen, sondern erzählt ihnen was von seiner Geliebten, die ihm alle Tage zu essen und zu trinken gibt. Die Mädchen lachen und schauen sich den Beduinen sehr genau an. Der aber erzählt weiter, daß er seinen schönen Dolch versetzt und nun große Furcht vor seiner Geliebten habe. Da müssen die Mädchen noch mehr lachen – und sie trinken, als wenns garnichts kostet. Mit leeren Taschen geht daher später im Sternenschein der junge Beduine von dannen – nicht grade – das kann er nicht – aber schwankend und mit schlotternden Gliedern. Er klettert über einen Zaun in einen Garten. Die Blumen duften da paradiesisch – und goldene Äpfel fallen dem Beduinen auf die Nase. Der Himmel wird ganz dunkelblau. Ein paar Sterne fallen aus dem dunkelblauen Himmel – auch herunter in den Garten, in dem die Blumen leuchten und duften wie im Paradies. Der Beduine schwankt weiter und will sich in ein Fenster schwingen, hinter dem seine Geliebte wohnt. Ein Duft von gebratenen – Hasen weht ihm aus dem Fenster entgegen. Doch plötzlich fühlt er was Nasses auf seinem Kopf und sieht nichts mehr. Ein großer Eimer ist ihm übern Kopf gestülpt, und frische Kuhmilch rieselt ihm über seinen ganzen Leibfrische Kuhmilch!«

Safur lacht, und die Andern lachen auch.

Dann fährt er fort:

»Kaum hat der Beduine den Eimer vom Kopf gerissen,[113] so klatscht ihm eine dicke Rindskeule an die rechte Wange. Der Beduine wird wütend, springt ins Fenster hinein und packt – packt seine Geliebte. Die reißt sich aber los und schlägt ihm mit einem Stück Holz übern Kopf. Der Beduine wird immer wütender. Doch seine Geliebte schlägt ihm mit einem Wasserkrug um die Ohren, daß der Krug in tausend Stücke zerbricht. Dann wirft sie nach ihm mit Eisstücken und gläsernen Flaschen, mit Schutt und Müll, mit Fischköpfen und faulem Obst, mit Bratpfannen und schmutzigen Lappen – daß der arme Beduine zurücktaumelt zum Fenster. Wie er aber am Fenster ist, hat sie ihn rasch an den Beinen gepackt und ihn kopfüber in den Garten geworfen –«

Jetzt kommt Safur nicht weiter, denn Alles lacht, daß die Barke bedenklich ins Schaukeln gerät.

Safur lacht jetzt aber nicht.

Die Tarub bringt die Nußtorte und wird mit einem Höllenlärm empfangen.

Der Scherbettbecher geht wieder von Hand zu Hand.

Es wird fast wüst.

Die Mädchen werden gekniffen und geküßt.

Safur kümmert sich aber nicht um den Lärm.

Er blickt hinaus in den Urwald am Ufer und beachtet nicht, daß man seine gute Laune preist und ihn einen echten Dichter nennt, der das Leben von der lustigen Seite zu fassen vermag.

Safur blickt in die Waldespracht, die sich am Ufer hinzieht im vollen Mondenschein.

Die blauen großen Lotosblumen leuchten am Ufer – wie Dschinnenaugen.

Und der Dichter muß wieder an seine Dschinne denken und an die Wüstengeister.

Und er leidet – leidet, wie ein Beduine leidet, der in der Wüste verdursten muß.

Aus dem Waldesdickicht am Ufer tönt zuweilen das Geheul wilder Tiere heraus. Die fliehen aber, denn neben[114] und hinter der großen Barke segeln drei kleinere, die dem Battany gehören.

In diesen kleineren Barken sitzen Battanys Bogenschützen, die die wilden Tiere mit giftigen Pfeilen verscheuchen.

Safur sieht wieder vor sich das Dschinnengesicht – das er bei der Sareppa sah.

Diesmal sieht er das Gesicht im Wasser neben weißen Wasserrosen – das Gesicht scheint im Wasser unterzugehen, sieht so qualvoll aus.

Und Safur liebt dieses Gesicht.

Und er seufzt, daß es kein lebendes Wesen ist, daß es kein Weib ist.

Der Leidende sehnt sich nach der Leidenden.

Und er liebt seine Dschinne und vergißt alles – was um ihn vorgeht.

Da stößt ihm die Tarub derb in die Seite.

Und er schrickt zusammen.

Die blauen Blumen am Ufer leuchten unter den großen Bananen – unter den dicken Stämmen der hohen Sagopalmen – wie die blauen Dschinnenaugen der Wüste.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Battany flüstert mit Abu Hischam.

Und wie der Mond in voller Pracht erglänzt, landet man am Ufer.

Man will das Grab des Abu Nuwâs besuchen – jenes großen Dichters, der noch zu Haruns Zeiten lebte und blutarm starb wie ein Lump – und der dann sehr berühmt wurde, sodaß seine Verse bald in Jedermanns Munde waren.

Das Grab des Abu Nuwâs ist ganz mit gelben Rosen bedeckt – ganz mit gelben Rosen.

Gelb ist die Farbe des Königs – in Persien und in andern Ländern, die von Bagdad nicht weitab liegen.

»Abu Nuwâs!« murmeln jetzt die Männer, die des großen Dichters Grab besuchen.[115]

»Abu Nuwâs!« murmeln auch die drei Frauen.

Die Pechfackeln der schwarzen Sklaven knistern und flammen hoch auf.

Die Gesellschaft ist plötzlich ganz ernst und ganz still geworden.

Suleiman liest mit leiser Stimme die Grabschrift, die auf einem kleinen Alabasterblock mitten unter den gelben Rosen in zierlichen Schriftzügen zu lesen ist.

Abu Nuwâs hat sich die Grabschrift, die Suleiman leise liest, selbst gedichtet.


»Leb doch, wies Dir grade paßt!

Machst Dich nur dadurch verhaßt!

Hast Du alles mal verpraßt,

Kannst Du wirklich nichts mehr erben –

Darfst Du doch noch friedlich sterben:

Stirb nur! Selbst die Dichter sterben!«


Kodama räuspert sich und will was sagen, Battany kommt ihm aber zuvor.

Battany sagt zum Safur, der wieder sehr ernst dreinschaut:

»Lieber Freund, kannst Du uns nicht auch ein paar Verse zu hören geben? Du bist heute so ernst – laß Dich nicht lange bitten.«

Safur nickt und spricht nach einer Weile, in der nur die Fackeln knisterten:


»Du ruhst nun unter Rosen aus –

Oh, der Tod hat Dich befreit!

Und milder wird mein Schmerz um Dich,

Da ich weiß, Du fühlst kein Leid.«


Und Safur empfindet eine so gequälte Stimmung.

Ihm ist, als täten ihm die Fingerspitzen weh. Sein ganzer Körper empfindet so fein, daß er jeden Luftzug zu spüren glaubt.

Er hört den Tigris leise rauschen.[116]

Und er hört in der Ferne wilde Tiere heulen.

Und er sehnt sich nach einem Wesen, dem er mitteilen kann, wie er eigentlich immer leidet – etwas Unerklärliches leidet, das die andern Menschen nicht kennen.

Ihm ist oft so, als sehne er sich nach einem Weibe, das er lieben kann.

Aber er weiß, daß es solches Weib nicht gibt. Bei diesen Gedanken sieht er drüben neben Said seine Tarub stehen – drollig ernst ... Und Safur muß lächeln. Doch Battany spricht jetzt – auch sehr ernst:

»Freunde! Ihr wißt, der große Philosoph Abu Hischam, der unter uns weilt, wollte einen Gelehrtenbund gründen. Ich glaube, dieser Augenblick am Grabe des größten arabischen Dichters ist so schön und feierlich, daß wir dem Abu Hischam, der ein kluger, tatkräftiger Mann ist, wohl eine Freude bereiten, wenn wir uns hier am Grabe die Hand reichen und die Gesellschaft, die wir bilden, die ›Gesellschaft der lauteren Brüder‹ nennen. Ich hoffe, unser Kreis wird bald größer werden.«

Und Alle reichten sich die Hände, sodaß sie einen Ring um das Grab bildeten.

Sehr drollig sahs zwar aus, daß auch die drei Frauen und der dumme Said im Ringe waren.

Doch die Gesellschaft machte trotzdem einen sehr feierlichen Eindruck.

Den Mond umkränzten rötliche Wolken – In der Ferne am andern Ufer zuckte ein bläuliches Licht auf – es blitzte –

Die Fackeln knisterten und flackerten hell.

Als sich die Hände der lauteren Brüder voneinander lösten, warf Abu Hischam seine armenische Pelzmütze hoch in die Luft, worüber Alle lachten.[117]

Quelle:
Paul Scheerbart: Dichterische Hauptwerke. Stuttgart 1962, S. 112-118.
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