Erster Auftritt.

[50] Das Theater ist ein Palmwald; alle Bäume sind silberartig, die Blätter von Gold. 18. Sitze von Blättern; auf einem jeden Sitze sieht eine Pyramide, und ein großes schwarzes Horn mit Gold gefaßt. In der Mitte ist die größte Pyramide, auch die größten Bäume. Sarastro nebst andern Priestern kommen in feyerlichen Schritten, jeder mit einem Palmzweige in der Hand. Ein Marsch mit blasenden Instrumenten begleitet den Zug.


SARASTRO nach einer Pause. Ihr, in dem Weisheitstempel eingeweihten Diener der großen Göttin Osiris und Isis! – Mit reiner Seele erklär ich euch, daß unsre heutige Versammlung eine der wichtigsten unsrer Zeit ist. – Tamino, ein Königssohn, 20 Jahre seines Alters, wandelt an der nördlichen Pforte unsers Tempels, und seufzt mit tugendvollem Herzen[50] nach einem Gegenstande, den wir alle mit Mühe und Fleiß erringen müssen. – Kurz, dieser Jüngling will seinen nächtlichen Schleyer von sich reißen, und ins Heiligthum des größten Lichtes blicken. – Diesen Tugendhaften zu bewachen, ihm freundschaftlich die Hand zu bieten, sey heute eine unsrer wichtigsten Pflichten.

ERSTER PRIESTER steht auf. Er besitzt Tugend?

SARASTRO. Tugend!

ZWEYTER PRIESTER. Auch Verschwiegenheit?

SARASTRO. Verschwiegenheit!

DRITTER PRIESTER. Ist wohlthätig?

SARASTRO. Wohlthätig! – haltet ihr ihn für würdig, so folgt meinem Beyspiele. Sie blasen drey Mahl in die Hörner. Gerührt über die Einigkeit eurer Herzen, dankt Sarastro euch im Namen der Menschheit. – Mag immer das Vorurtheil seinen Tadel über uns Eingeweihte auslassen! – Weisheit und Vernunft zerstückt es gleich dem Spinnengewebe. – Unsere Säulen erschüttern sie nie. Jedoch, das böse Vorurtheil soll schwinden; und es wird schwinden, so bald Tamino selbst die Größe unserer schweren Kunst besitzen wird. – Pamina, das sanfte, tugendhafte Mädchen haben die Götter dem holden[51] Jünglinge bestimmt; dies ist der Grundstein, warum ich sie der stolzen Mutter entriß. – Das Weib dünkt sich groß zu seyn; hofft durch Blendwerk und Aberglauben das Volk zu berücken, und unsern festen Tempelbau zu zerstören. Allein, das soll sie nicht; Tamino, der holde Jüngling selbst, soll ihn mit uns befestigen, und als Eingeweihter der Tugend Lohn, dem Laster aber Strafe seyn. Der dreymahlige Accord in den Hörnern wird von allen wiederhohlt.

SPRECHER steht auf. Großer Sarastro, deine weisheitsvollen Reden erkennen und bewundern wir; allein, wird Tamino auch die harten Prüfungen, so seiner warten, bekämpfen? – Verzeih, daß ich so frey bin, dir meinen Zweifel zu eröfnen! mich bangt es um den Jüngling. Wenn nun im Schmerz dahin gesunken sein Geist ihn verließe, und er dem harten Kampfe unterläge. – Er ist Prinz! –

SARASTRO. Noch mehr – Er ist Mensch!

SPRECHER. Wenn er nun aber in seiner frühen Jugend leblos erblaßte?

SARASTRO. Dann ist er Osiris und Isis gegeben, und wird der Götter Freuden früher fühlen, als wir. Der dreymahlige Accord wird wiederhohlt. Man führe Tamino mit seinem[52] Reisegefährten in Vorhof des Tempels ein. Zum Sprecher, der vor ihm niederkniet. Und du, Freund! den die Götter durch uns zum Vertheidiger der Wahrheit bestimmten – vollziehe dein heiliges Amt, und lehre durch deine Weisheit beyde, was Pflicht der Menschheit sey, lehre sie die Macht der Götter erkennen.


Sprecher geht mit einem Priester ab, alle Priester stellen sich mit ihren Palmzweigen zusammen.


CHORUS.

O Isis und Osiris schenket

Der Weisheit Geist dem neuen Paar!

Die ihr der Wandrer Schritte lenket,

Stärkt mit Geduld sie in Gefahr –

Laßt sie der Prüfung Früchte sehen.

Doch sollten sie zu Grabe gehen,

So lohnt der Tugend kühnen Lauf,

Nehmt sie in euern Wohnsitz auf.


Sarastro geht voraus, dann alle ihm nach ab.[53]


Quelle:
Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte, von Emanuel Schikaneder, Wien 1791, S. 50-54.
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