Zehnter Auftritt


[721] Die Vorigen. Johanna begleitet von den Ratsherren und vielen Rittern, welche den Hintergrund der Szene anfüllen; mit edelm Anstand tritt sie vorwärts, und schaut die Umstehenden der Reihe nach an.


DUNOIS nach einer tiefen feierlichen Stille.

Bist du es, wunderbares Mädchen –

JOHANNA unterbricht ihn, mit Klarheit und Hoheit ihn anschauend.[721]

Bastard von Orleans! Du willst Gott versuchen!

Steh auf von diesem Platz, der dir nicht ziemt,

An diesen Größeren bin ich gesendet.


Sie geht mit entschiedenem Schritt auf den König zu, beugt ein Knie vor ihm und steht sogleich wieder auf, zurücktretend. Alle Anwesenden drücken ihr Erstaunen aus. Dunois verläßt seinen Sitz und es wird Raum vor dem König.


KARL.

Du siehst mein Antlitz heut zum erstenmal,

Von wannen kommt dir diese Wissenschaft?

JOHANNA.

Ich sah dich, wo dich niemand sah als Gott.


Sie nähert sich dem König und spricht

geheimnisvoll.


In jüngst verwichner Nacht, besinne dich!

Als alles um dich her in tiefem Schlaf

Begraben lag, da standst du auf von deinem Lager,

Und tatst ein brünstiges Gebet zu Gott.

Laß die hinausgehn und ich nenne dir

Den Inhalt des Gebets.

KARL.

Was ich dem Himmel

Vertraut, brauch ich vor Menschen nicht zu bergen.

Entdecke mir den Inhalt meines Flehns,

So zweifl ich nicht mehr, daß dich Gott begeistert.

JOHANNA.

Es waren drei Gebete, die du tatst,

Gib wohl acht, Dauphin, ob ich dir sie nenne!

Zum ersten flehtest du den Himmel an,

Wenn unrecht Gut an dieser Krone hafte,

Wenn eine andre schwere Schuld, noch nicht

Gebüßt, von deiner Väter Zeiten her,

Diesen tränenvollen Krieg herbeigerufen,

Dich zum Opfer anzunehmen für dein Volk,

Und auszugießen auf dein einzig Haupt

Die ganze Schale seines Zorns.

KARL tritt mit Schrecken zurück.

Wer bist du, mächtig Wesen? Woher kommst du?


Alle zeigen ihr Erstaunen.


JOHANNA.

Du tatst dem Himmel diese zweite Bitte.

Wenn es sein hoher Schluß und Wille sei,[722]

Das Szepter deinem Stamme zu entwinden,

Dir alles zu entziehn, was deine Väter,

Die Könige in diesem Reich besaßen,

Drei einzge Güter flehtest du ihn an

Dir zu bewahren, die zufriedne Brust,

Des Freundes Herz und deiner Agnes Liebe.


König verbirgt das Gesicht heftig weinend, große Bewegung des Erstaunens unter den Anwesenden. Nach einer Pause.


Soll ich dein dritt Gebet dir nun noch nennen?

KARL.

Genug! Ich glaube dir! So viel vermag

Kein Mensch! Dich hat der höchste Gott gesendet.

ERZBISCHOF.

Wer bist du heilig wunderbares Mädchen!

Welch glücklich Land gebar dich? Sprich! Wer sind

Die gottgeliebten Eltern, die dich zeugten?

JOHANNA.

Ehrwürdger Herr, Johanna nennt man mich,

Ich bin nur eines Hirten niedre Tochter

Aus meines Königs Flecken Dom Remi,

Der in dem Kirchensprengel liegt von Toul,

Und hütete die Schafe meines Vaters

Von Kind auf – Und ich hörte viel und oft

Erzählen von dem fremden Inselvolk,

Das über Meer gekommen, uns zu Knechten

Zu machen, und den fremdgebornen Herrn

Uns aufzuzwingen, der das Volk nicht liebt,

Und daß sie schon die große Stadt Paris

Innhätten und des Reiches sich ermächtigt.

Da rief ich flehend Gottes Mutter an,

Von uns zu wenden fremder Ketten Schmach,

Uns den einheimschen König zu bewahren.

Und vor dem Dorf, wo ich geboren, steht

Ein uralt Muttergottesbild, zu dem

Der frommen Pilgerfahrten viel geschahn,

Und eine heilge Eiche steht darneben,

Durch vieler Wunder Segenskraft berühmt.

Und in der Eiche Schatten saß ich gern,

Die Herde weidend, denn mich zog das Herz.[723]

Und ging ein Lamm mir in den wüsten Bergen

Verloren, immer zeigte mirs der Traum,

Wenn ich im Schatten dieser Eiche schlief.

– Und einsmals als ich eine lange Nacht

In frommer Andacht unter diesem Baum

Gesessen und dem Schlafe widerstand,

Da trat die Heilige zu mir, ein Schwert

Und Fahne tragend, aber sonst wie ich

Als Schäferin gekleidet, und sie sprach zu mir:

»Ich bins. Steh auf, Johanna. Laß die Herde.

Dich ruft der Herr zu einem anderen Geschäft!

Nimm diese Fahne! Dieses Schwert umgürte dir!

Damit vertilge meines Volkes Feinde,

Und führe deines Herren Sohn nach Reims,

Und krön ihn mit der königlichen Krone!«

Ich aber sprach: »Wie kann ich solcher Tat

Mich unterwinden, eine zarte Magd,

Unkundig des verderblichen Gefechts!«

Und sie versetzte: »Eine reine Jungfrau

Vollbringt jedwedes Herrliche auf Erden,

Wenn sie der irdschen Liebe widersteht.

Sieh mich an! Eine keusche Magd wie du

Hab ich den Herrn, den göttlichen, geboren,

Und göttlich bin ich selbst!« – Und sie berührte

Mein Augenlid, und als ich aufwärts sah,

Da war der Himmel voll von Engelknaben,

Die trugen weiße Lilien in de Hand,

Und süßer Ton verschwebte in den Lüften.

– Und so drei Nächte nacheinander ließ

Die Heilige sich sehn, und rief: »Steh auf, Johanna,

Dich ruft der Herr zu einem anderen Geschäft.«

Und als sie in der dritten Nacht erschien,

Da zürnte sie und scheltend sprach sie dieses Wort:

»Gehorsam ist des Weibes Pflicht auf Erden,

Das harte Dulden ist ihr schweres Los,

Durch strengen Dienst muß sie geläutert werden,[724]

Die hier gedienet, ist dort oben groß.«

Und also sprechend ließ sie das Gewand

Der Hirtin fallen und als Königin

Der Himmel stand sie da im Glanz der Sonnen,

Und goldne Wolken trugen sie hinauf

Langsam verschwindend in das Land der Wonnen.


Alle sind gerührt. Agnes Sorel heftig weinend verbirgt ihr Gesicht an des Königs Brust.


ERZBISCHOF nach einem langen Stillschweigen.

Vor solcher göttlicher Beglaubigung

Muß jeder Zweifel irdscher Klugheit schweigen.

Die Tat bewährt es, daß sie Wahrheit spricht,

Nur Gott allein kann solche Wunder wirken.

DUNOIS.

Nicht ihren Wundern, ihrem Auge glaub ich,

Der reinen Unschuld ihres Angesichts.

KARL.

Und bin ich Sündger solcher Gnade wert!

Untrüglich allerforschend Aug, du siehst

Mein Innerstes und kennest meine Demut!

JOHANNA.

Der Hohen Demut leuchtet hell dort oben,

Du beugtest dich, drum hat er dich erhoben.

KARL.

So werd ich meinen Feinden widerstehn?

JOHANNA.

Bezwungen leg ich Frankreich dir zu Füßen!

KARL.

Und Orleans sagst du, wird nicht übergehn?

JOHANNA.

Eh siehest du die Loire zurückefließen.

KARL.

Werd ich nach Reims als Überwinder ziehn?

JOHANNA.

Durch tausend Feinde führ ich dich dahin.


Alle anwesende Ritter erregen ein Getöse mit ihren Lanzen und Schilden, und geben Zeichen des Muts.


DUNOIS.

Stell uns die Jungfrau an des Heeres Spitze,

Wir folgen blind, wohin die Göttliche

Uns führt! Ihr Seherauge soll uns leiten,

Und schützen soll sie dieses tapfre Schwert!

LA HIRE.

Nicht eine Welt in Waffen fürchten wir,

Wenn sie einher vor unsern Scharen zieht.

Der Gott des Sieges wandelt ihr zur Seite,

Sie führ uns an, die Mächtige, im Streite!


[725] Die Ritter erregen ein großes Waffengetös und treten vorwärts.


KARL.

Ja heilig Mädchen, führe du mein Heer,

Und seine Fürsten sollen dir gehorchen.

Dies Schwert der höchsten Kriegsgewalt, das uns

Der Kronfeldherr im Zorn zurückgesendet,

Hat eine würdigere Hand gefunden.

Empfange du es, heilige Prophetin,

Und sei fortan –

JOHANNA.

Nicht also, edler Dauphin!

Nicht durch dies Werkzeug irdischer Gewalt

Ist meinem Herrn der Sieg verliehn. Ich weiß

Ein ander Schwert, durch das ich siegen werde.

Ich will es dir bezeichnen, wie's der Geist

Mich lehrte, sende hin und laß es holen.

KARL.

Nenn es, Johanna.

JOHANNA.

Sende nach der alten Stadt

Fierboys, dort, auf Sankt Kathrinens Kirchhof

Ist ein Gewölb, wo vieles Eisen liegt,

Von alter Siegesbeute aufgehäuft.

Das Schwert ist drunter, das mir dienen soll.

An dreien goldnen Lilien ists zu kennen,

Die auf der Klinge eingeschlagen sind,

Dies Schwert laß holen, denn durch dieses wirst du siegen.

KARL.

Man sende hin und tue, wie sie sagt.

JOHANNA.

Und eine weiße Fahne laß mich tragen,

Mit einem Saum von Purpur eingefaßt.

Auf dieser Fahne sei die Himmelskönigin

Zu sehen mit dem schönen Jesusknaben,

Die über einer Erdenkugel schwebt,

Denn also zeigte mirs die heilge Mutter.

KARL.

Es sei so, wie du sagst.

JOHANNA zum Erzbischof.

Ehrwürdger Bischof,

Legt Eure priesterliche Hand auf mich,

Und sprecht den Segen über Eure Tochter!


Kniet nieder.


ERZBISCHOF.

Du bist gekommen, Segen auszuteilen,[726]

Nicht zu empfangen – Geh mit Gottes Kraft!

Wir aber sind Unwürdige und Sünder!


Sie steht auf.


EDELKNECHT.

Ein Herold kommt vom engelländschen Feldherrn.

JOHANNA.

Laß ihn eintreten, denn ihn sendet Gott!


Der König winkt dem Edelknecht, der hinausgeht.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 721-727.
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