Siebenter Auftritt


[800] Dunois zwischen dem Erzbischof und Du Chatel.


ERZBISCHOF.

Bezwinget Euern finstern Unmut, Prinz!

Kommt mit uns! Kehrt zurück zu Euerm König!

Verlasset nicht die allgemeine Sache

In diesem Augenblick, da wir aufs neu

Bedränget, Eures Heldenarms bedürfen.[800]

DUNOIS.

Warum sind wir bedrängt? Warum erhebt

Der Feind sich wieder? Alles war getan,

Frankreich war siegend und der Krieg geendigt.

Die Retterin habt ihr verbannt, nun rettet

Euch selbst! Ich aber will das Lager

Nicht wieder sehen, wo sie nicht mehr ist.

DU CHATEL.

Nehmt bessern Rat an, Prinz. Entlaßt uns nicht

Mit einer solchen Antwort!

DUNOIS.

Schweigt, Du Chatel!

Ich hasse Euch, von Euch will ich nichts hören.

Ihr seid es, der zuerst an ihr gezweifelt.

ERZBISCHOF.

Wer ward nicht irr an ihr und hätte nicht

Gewankt an diesem unglückselgen Tage,

Da alle Zeichen gegen sie bewiesen!

Wir waren überrascht, betäubt, der Schlag

Traf zu erschütternd unser Herz – Wer konnte

In dieser Schreckensstunde prüfend wägen?

Jetzt kehrt uns die Besonnenheit zurück,

Wir sehn sie, wie sie unter uns gewandelt,

Und keinen Tadel finden wir an ihr.

Wir sind verwirrt – wir fürchten schweres Unrecht

Getan zu haben. – Reue fühlt der König,

Der Herzog klagt sich an, La Hire ist trostlos,

Und jedes Herz hüllt sich in Trauer ein.

DUNOIS.

Sie eine Lügnerin! Wenn sich die Wahrheit

Verkörpern will in sichtbarer Gestalt,

So muß sie ihre Züge an sich tragen!

Wenn Unschuld, Treue, Herzensreinigkeit

Auf Erden irgend wohnt – auf ihren Lippen,

In ihren klaren Augen muß sie wohnen!

ERZBISCHOF.

Der Himmel schlage durch ein Wunder sich

Ins Mittel, und erleuchte dies Geheimnis,

Das unser sterblich Auge nicht durchdringt –

Doch wie sichs auch entwirren mag und lösen,

Eins von den beiden haben wir verschuldet!

Wir haben uns mit höllschen Zauberwaffen[801]

Verteidigt oder eine Heilige verbannt!

Und beides ruft des Himmels Zorn und Strafen

Herab auf dieses unglückselge Land!


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 800-802.
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