Sechste Szene

[794] Der Präsident mit einem Gefolge von Bedienten. Vorige.


PRÄSIDENT im Hereintreten. Da ist er schon.


Alle erschrocken.


FERDINAND weicht einige Schritte zurücke. Im Hause der Unschuld.

PRÄSIDENT. Wo der Sohn Gehorsam gegen den Vater lernt?

FERDINAND. Lassen Sie uns das – –

PRÄSIDENT unterbricht ihn, zu Millern. Er ist der Vater?

MILLER. Stadtmusikant Miller.

PRÄSIDENT zur Frau. Sie die Mutter?

FRAU. Ach ja! die Mutter.

FERDINAND zu Millern. Vater, bring Er die Tochter weg – Sie droht eine Ohnmacht.

PRÄSIDENT. Überflüssige Sorgfalt. Ich will sie anstreichen. Zu Luisen. Wie lang kennt Sie den Sohn des Präsidenten?

LUISE. Diesem habe ich nie nachgefragt. Ferdinand von Walter besucht mich seit dem November.

FERDINAND. Betet sie an.

PRÄSIDENT. Erhielt Sie Versicherungen?

FERDINAND. Vor wenigen Augenblicken die feierlichste im Angesicht Gottes.

PRÄSIDENT zornig zu seinem Sohn. Zur Beichte deiner Torheit wird man dir schon das Zeichen geben. Zu Luisen. Ich warte auf Antwort.

LUISE. Er schwur mir Liebe.

FERDINAND. Und wird sie halten.

PRÄSIDENT. Muß ich befehlen, daß du schweigst? – Nahm Sie den Schwur an?

LUISE zärtlich. Ich erwiderte ihn.

FERDINAND mit fester Stimme. Der Bund ist geschlossen.

PRÄSIDENT. Ich werde das Echo hinauswerfen lassen. Boshaft zu Luisen. Aber er bezahlte Sie doch jederzeit bar?

LUISE aufmerksam. Diese Frage verstehe ich nicht ganz.

PRÄSIDENT mit beißendem Lachen. Nicht? Nun! ich meine nur – Jedes Handwerk hat, wie man sagt, seinen goldenen Boden – auch [794] Sie, hoff ich, wird Ihre Gunst nicht verschenkt haben – oder wars Ihr vielleicht mit dem bloßen Verschluß gedient? Wie?

FERDINAND fährt wie rasend auf. Hölle! was war das?

LUISE zum Major mit Würde und Unwillen. Herr von Walter, jetzt sind Sie frei.

FERDINAND. Vater! Ehrfurcht. befiehlt die Tugend auch im Bettlerkleid.

PRÄSIDENT lacht lauter. Eine lustige Zumutung! Der Vater soll die Hure des Sohns respektieren.

LUISE stürzt nieder. O Himmel und Erde!

FERDINAND mit Luisen zu gleicher Zeit, indem er den Degen nach dem Präsidenten zückt, den er aber schnell wieder sinken läßt. Vater! Sie hatten einmal ein Leben an mich zu fodern – Es ist bezahlt. Den Degen einsteckend. Der Schuldbrief der kindlichen Pflicht liegt zerrissen da –

MILLER der bis jetzt furchtsam auf der Seite gestanden, tritt hervor in Bewegung, wechselsweis für Wut mit den Zähnen knirschend und für Angst damit klappernd. Euer Exzellenz – Das Kind ist des Vaters Arbeit – Halten zu Gnaden – Wer das Kind eine Mähre schilt, schlägt den Vater ans Ohr, und Ohrfeig um Ohrfeig – Das ist so Tax bei uns – Halten zu Gnaden.

FRAU. Hilf, Herr und Heiland! – Jetzt bricht auch der Alte los – über unserm Kopf wird das Wetter zusammenschlagen.

PRÄSIDENT der es nur halb gehört hat. Regt sich der Kuppler auch? – Wir sprechen uns gleich, Kuppler.

MILLER. Halten zu Gnaden. Ich heiße Miller, wenn Sie ein Adagio hören wollen – mit Buhlschaften dien ich nicht. Solang der Hof da noch Vorrat hat, kommt die Lieferung nicht an uns Bürgersleut. Halten zu Gnaden.

FRAU. Um des Himmels willen, Mann! Du bringst Weib und Kind um.

FERDINAND. Sie spielen hier eine Rolle, mein Vater, wobei Sie sich wenigstens die Zeugen hätten ersparen können.

MILLER kommt ihm näher, herzhafter. Teutsch und verständlich. Halten zu Gnaden. Euer Exzellenz schalten und walten im Land. Das ist meine Stube. Mein devotestes Kompliment, wenn ich dermaleins[795] ein Promemoria bringe, aber den ungehobelten Gast werf ich zur Tür hinaus – Halten zu Gnaden.

PRÄSIDENT vor Wut blaß. Was? – Was ist das? Tritt ihm näher.

MILLER zieht sich sachte zurück. Das war nur so meine Meinung, Herr – Halten zu Gnaden.

PRÄSIDENT in Flammen. Ha, Spitzbube! Ins Zuchthaus spricht dich deine vermessene Meinung – Fort! Man soll Gerichtsdiener holen. Einige vom Gefolg gehen ab; der Präsident rennt voll Wut durch das Zimmer. Vater ins Zuchthaus – an den Pranger Mutter und Metze von Tochter! – Die Gerechtigkeit soll meiner Wut ihre Arme borgen. Für diesen Schimpf muß ich schreckliche Genugtuung haben – Ein solches Gesindel sollte meine Plane zerschlagen, und ungestraft Vater und Sohn aneinanderhetzen? – Ha, Verfluchte! Ich will meinen Haß an eurem Untergang sättigen, die ganze Brut, Vater, Mutter und Tochter, will ich meiner brennenden Rache opfern.

FERDINAND tritt gelassen und standhaft unter sie hin. O nicht doch! Seid außer Furcht! Ich bin zugegen. Zum Präsidenten mit Unterwürfigkeit. Keine Übereilung, mein Vater! Wenn Sie sich selbst lieben, keine Gewalttätigkeit – Es gibt eine Gegend in meinem Herzen, worin das Wort Vater noch nie gehört worden ist – Dringen Sie nicht bis in diese.

PRÄSIDENT. Nichtswürdiger! Schweig! Reize meinen Grimm nicht noch mehr.

MILLER kommt aus einer dumpfen Betäubung zu sich selbst. Schau du nach deinem Kinde, Frau. Ich laufe zum Herzog – Der Leibschneider – das hat mir Gott – eingeblasen! der Leibschneider lernt die Flöte bei mir. Es kann mir nicht fehlen beim Herzog. Er will gehen.

PRÄSIDENT. Beim Herzog, sagst du? – Hast du vergessen, daß ich die Schwelle bin, worüber du springen oder den Hals brechen mußt? – Beim Herzog, du Dummkopf? – Versuch es, wenn du, lebendig tot, eine Turmhöhe tief unter dem Boden im Kerker liegst, wo die Nacht mit der Hölle liebäugelt, und Schall und Licht wieder umkehren, raßle dann mit deinen Ketten und wimmre: Mir ist zuviel geschehen![796]


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 794-797.
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