Zweiter Auftritt

[555] Maria im Schleier, ein Kruzifix in der Hand. Die Vorigen.


KENNEDY ihr entgegeneilend.

O Königin! Man tritt uns ganz mit Füßen,

Der Tyrannei, der Härte wird kein Ziel,

Und jeder neue Tag häuft neue Leiden

Und Schmach auf dein gekröntes Haupt.

MARIA.

Faß dich!

Sag an, was neu geschehen ist?

KENNEDY.

Sieh her!

Dein Pult ist aufgebrochen, deine Schriften,

Dein einzger Schatz, den wir mit Müh gerettet,

Der letzte Rest von deinem Brautgeschmeide[555]

Aus Frankreich ist in seiner Hand. Du hast nun

Nichts Königliches mehr, bist ganz beraubt.

MARIA.

Beruhige dich, Hanna. Diese Flitter machen

Die Königin nicht aus. Man kann uns niedrig

Behandeln, nicht erniedrigen. Ich habe

In England mich an viel gewöhnen lernen,

Ich kann auch das verschmerzen. Sir, Ihr habt Euch

Gewaltsam zugeeignet, was ich Euch

Noch heut zu übergeben willens war.

Bei diesen Schriften findet sich ein Brief,

Bestimmt für meine königliche Schwester

Von England – Gebt mir Euer Wort, daß Ihr

Ihn redlich an sie selbst wollt übergeben,

Und nicht in Burleighs ungetreue Hand.

PAULET.

Ich werde mich bedenken, was zu tun ist.

MARIA.

Ihr sollt den Inhalt wissen, Sir. Ich bitte

In diesem Brief um eine große Gunst –

– Um eine Unterredung mit ihr selbst,

Die ich mit Augen nie gesehn – Man hat mich

Vor ein Gericht von Männern vorgefodert,

Die ich als meinesgleichen nicht erkennen,

Zu denen ich kein Herz mir fassen kann

Elisabeth ist meines Stammes, meines

Geschlechts und Ranges – Ihr allein, der Schwester,

Der Königin, der Frau kann ich mich öffnen.

PAULET.

Sehr oft, Mylady, habt Ihr Euer Schicksal

Und Eure Ehre Männern anvertraut,

Die Eurer Achtung minder würdig waren.

MARIA.

Ich bitte noch um eine zweite Gunst,

Unmenschlichkeit allein kann mir sie weigern.

Schon lange Zeit entbehr ich im Gefängnis

Der Kirche Trost, der Sakramente Wohltat,

Und die mir Kron und Freiheit hat geraubt,

Die meinem Leben selber droht, wird mir

Die Himmelstüre nicht verschließen wollen.

PAULET.

Auf Euren Wunsch wird der Dechant des Orts –[556]

MARIA unterbricht ihn lebhaft.

Ich will nichts vom Dechanten. Einen Priester

Von meiner eignen Kirche fodre ich.

– Auch Schreiber und Notarien verlang ich,

Um meinen letzten Willen aufzusetzen.

Der Gram, das lange Kerkerelend nagt

An meinem Leben. Meine Tage sind

Gezählt, befürcht ich, und ich achte mich

Gleich einer Sterbenden.

PAULET.

Da tut Ihr wohl,

Das sind Betrachtungen, die Euch geziemen.

MARIA.

Und weiß ich, ob nicht eine schnelle Hand

Des Kummers langsames Geschäft beschleunigt?

Ich will mein Testament aufsetzen, will

Verfügung treffen über das, was mein ist.

PAULET.

Die Freiheit habt Ihr. Englands Königin

Will sich mit Eurem Raube nicht bereichern.

MARIA.

Man hat von meinen treuen Kammerfrauen,

Von meinen Dienern mich getrennt – Wo sind sie?

Was ist ihr Schicksal? Ihrer Dienste kann ich

Entraten, doch beruhigt will ich sein,

Daß die Getreun nicht leiden und entbehren.

PAULET.

Für Eure Diener ist gesorgt.


Er will gehen.


MARIA.

Ihr geht, Sir? Ihr verlaßt mich abermals,

Und ohne mein geängstigt fürchtend Herz

Der Qual der Ungewißheit zu entladen.

Ich bin, dank Eurer Späher Wachsamkeit,

Von aller Welt geschieden, keine Kunde

Gelangt zu mir durch diese Kerkermauern,

Mein Schicksal liegt in meiner Feinde Hand.

Ein peinlich langer Monat ist vorüber,

Seitdem die vierzig Kommissarien

In diesem Schloß mich überfallen, Schranken

Errichtet, schnell, mit unanständiger Eile,

Mich unbereitet, ohne Anwalts Hülfe,

Vor ein noch nie erhört Gericht gestellt,[557]

Auf schlaugefaßte schwere Klagepunkte

Mich, die Betäubte, Überraschte, flugs

Aus dem Gedächtnis Rede stehen lassen –

Wie Geister kamen sie und schwanden wieder.

Seit diesem Tage schweigt mir jeder Mund,

Ich such umsonst in Eurem Blick zu lesen,

Ob meine Unschuld, meiner Freunde Eifer,

Ob meiner Feinde böser Rat gesiegt.

Brecht endlich Euer Schweigen – laßt mich wissen,

Was ich zu fürchten, was zu hoffen habe.

PAULET nach einer Pause.

Schließt Eure Rechnung mit dem Himmel ab.

MARIA.

Ich hoff auf seine Gnade, Sir – und hoffe

Auf strenges Recht von meinen irdschen Richtern.

PAULET.

Recht soll Euch werden. Zweifelt nicht daran.

MARIA.

Ist mein Prozeß entschieden, Sir?

PAULET.

Ich weiß nicht.

MARIA.

Bin ich verurteilt?

PAULET.

Ich weiß nichts, Mylady.

MARIA.

Man liebt hier rasch zu Werk zu gehn. Soll mich

Der Mörder überfallen wie die Richter?

PAULET.

Denkt immerhin, es sei so, und er wird Euch

In beßrer Fassung dann als diese finden.

MARIA.

Nichts soll mich in Erstaunen setzen, Sir,

Was ein Gerichtshof in Westminsterhall,

Den Burleighs Haß und Hattons Eifer lenkt,

Zu urteln sich erdreiste – Weiß ich doch,

Was Englands Königin wagen darf zu tun.

PAULET.

Englands Beherrscher brauchen nichts zu scheuen,

Als ihr Gewissen und ihr Parlament.

Was die Gerechtigkeit gesprochen, furchtlos,

Vor aller Welt wird es die Macht vollziehn.[558]


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 555-559.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Maria Stuart
Maria Stuart (Poches Allemand)
Maria Stuart: Empfohlen für das 9./10. Schuljahr. Schülerheft
Maria Stuart: Handreichungen für den Unterricht. Unterrichtsvorschläge und Kopiervorlagen
Maria Stuart: Trauerspiel in fünf Aufzügen (Suhrkamp BasisBibliothek)
Maria Stuart von Friedrich von Schiller. Textanalyse und Interpretation: Alle erforderlichen Infos für Abitur, Matura, Klausur und Referat plus Abituraufgaben mit Lösungen

Buchempfehlung

Jean Paul

Selberlebensbeschreibung

Selberlebensbeschreibung

Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon