Neunter Auftritt

[612] Elisabeth. Leicester.


ELISABETH.

Wer ging da von Euch weg? Ich hörte sprechen.

LEICESTER sich auf ihre Rede schnell und erschrocken umwendend.

Es war Sir Mortimer.

ELISABETH.

Was ist Euch, Lord?

So ganz betreten?

LEICESTER faßt sich.

– Über deinen Anblick!

Ich habe dich so reizend nie gesehn,

Geblendet steh ich da von deiner Schönheit.

– Ach!

ELISABETH.

Warum seufzt Ihr?

LEICESTER.

Hab ich keinen Grund

Zu seufzen? Da ich deinen Reiz betrachte,

Erneut sich mir der namenlose Schmerz

Des drohenden Verlustes.

ELISABETH.

Was verliert Ihr?

LEICESTER.

Dein Herz, dein liebenswürdig Selbst verlier ich.

Bald wirst du in den jugendlichen Armen

Des feurigen Gemahls dich glücklich fühlen,

Und ungeteilt wird er dein Herz besitzen.

Er ist von königlichem Blut, das bin

Ich nicht, doch Trotz sei aller Welt geboten,

Ob einer lebt auf diesem Erdenrund,

Der mehr Anbetung für dich fühlt als ich.

Der Duc von Anjou hat dich nie gesehn,

Nur deinen Ruhm und Schimmer kann er lieben.

Ich liebe dich. Wärst du die ärmste Hirtin,

Ich als der größte Fürst der Welt geboren,

Zu deinem Stand würd ich heruntersteigen,

Mein Diadem zu deinen Füßen legen.

ELISABETH.

Beklag mich, Dudley, schilt mich nicht – Ich darf ja

Mein Herz nicht fragen. Ach! das hätte anders

Gewählt. Und wie beneid ich andre Weiber,[612]

Die das erhöhen dürfen, was sie lieben.

So glücklich bin ich nicht, daß ich dem Manne,

Der mir vor allen teuer ist, die Krone

Aufsetzen kann! – Der Stuart wards vergönnt,

Die Hand nach ihrer Neigung zu verschenken,

Die hat sich jegliches erlaubt, sie hat

Den vollen Kelch der Freuden ausgetrunken.

LEICESTER.

Jetzt trinkt sie auch den bittern Kelch des Leidens.

ELISABETH.

Sie hat der Menschen Urteil nichts geachtet.

Leicht wurd es ihr zu leben, nimmer lud sie

Das Joch sich auf, dem ich mich unterwarf.

Hätt ich doch auch Ansprüche machen können,

Des Lebens mich, der Erde Lust zu freun,

Doch zog ich strenge Königspflichten vor.

Und doch gewann sie aller Männer Gunst,

Weil sie sich nur befliß, ein Weib zu sein,

Und um sie buhlt die Jugend und das Alter.

So sind die Männer. Lüstlinge sind alle!

Dem Leichtsinn eilen sie, der Freude zu,

Und schätzen nichts, was sie verehren müssen.

Verjüngte sich nicht dieser Talbot selbst,

Als er auf ihren Reiz zu reden kam!

LEICESTER.

Vergib es ihm. Er war ihr Wächter einst,

Die Listge hat mit Schmeicheln ihn betört.

ELISABETH.

Und ists denn wirklich wahr, daß sie so schön ist?

So oft mußt ich die Larve rühmen hören,

Wohl möcht ich wissen, was zu glauben ist.

Gemälde schmeicheln, Schilderungen lügen,

Nur meinen eignen Augen würd ich traun.

– Was schaut Ihr mich so seltsam an?

LEICESTER.

Ich stellte

Dich in Gedanken neben die Maria.

– Die Freude wünscht ich mir, ich berg es nicht,

Wenn es ganz ingeheim geschehen könnte,

Der Stuart gegenüber dich zu sehn!

Dann solltest du erst deines ganzen Siegs[613]

Genießen! Die Beschämung gönnt ich ihr,

Daß sie mit eignen Augen – denn der Neid

Hat scharfe Augen – überzeugt sich sähe,

Wie sehr sie auch an Adel der Gestalt

Von dir besiegt wird, der sie so unendlich

In jeder andern würdgen Tugend weicht.

ELISABETH.

Sie ist die Jüngere an Jahren.

LEICESTER.

Jünger!

Man siehts ihr nicht an. Freilich ihre Leiden!

Sie mag wohl vor der Zeit gealtert haben.

Ja, und was ihre Kränkung bittrer machte,

Das wäre, dich als Braut zu sehn! Sie hat

Des Lebens schöne Hoffnung hinter sich,

Dich sähe sie dem Glück entgegenschreiten!

Und als die Braut des Königssohns von Frankreich,

Da sie sich stets so viel gewußt, so stolz

Getan mit der französischen Vermählung,

Noch jetzt auf Frankreichs mächtge Hilfe pocht!

ELISABETH nachlässig hinwerfend.

Man peinigt mich ja sie zu sehn.

LEICESTER lebhaft.

Sie foderts

Als eine Gunst, gewähr es ihr als Strafe!

Du kannst sie auf das Blutgerüste führen,

Es wird sie minder peinigen, als sich

Von deinen Reizen ausgelöscht zu sehn.

Dadurch ermordest du sie, wie sie dich

Ermorden wollte – Wenn sie deine Schönheit

Erblickt, durch Ehrbarkeit bewacht, in Glorie

Gestellt durch einen unbefleckten Tugendruf,

Den sie, leichtsinnig buhlend, von sich warf,

Erhoben durch der Krone Glanz, und jetzt

Durch zarte Bräutlichkeit geschmückt – dann hat

Die Stunde der Vernichtung ihr geschlagen.

Ja – wenn ich jetzt die Augen auf dich werfe –

Nie warst du, nie zu einem Sieg der Schönheit

Gerüsteter als eben jetzt – Mich selbst[614]

Hast du umstrahlt wie eine Lichterscheinung,

Als du vorhin ins Zimmer tratest – Wie?

Wenn du gleich jetzt, jetzt wie du bist, hinträtest

Vor sie, du findest keine schönre Stunde –

ELISABETH.

Jetzt – Nein – Nein – Jetzt nicht, Leicester – Nein, das muß ich

Erst wohl bedenken – mich mit Burleigh –

LEICESTER lebhaft einfallend.

Burleigh!

Der denkt allein auf deinen Staatsvorteil,

Auch deine Weiblichkeit hat ihre Rechte,

Der zarte Punkt gehört vor dein Gericht,

Nicht vor des Staatsmanns – ja auch Staatskunst will es,

Daß du sie siehst, die öffentliche Meinung

Durch eine Tat der Großmut dir gewinnest!

Magst du nachher dich der verhaßten Feindin,

Auf welche Weise dirs gefällt, entladen.

ELISABETH.

Nicht wohlanständig wär mirs, die Verwandte

Im Mangel und in Schmach zu sehn. Man sagt,

Daß sie nicht königlich umgeben sei,

Vorwerfend wär mir ihres Mangels Anblick.

LEICESTER.

Nicht ihrer Schwelle brauchst du dich zu nahn.

Hör meinen Rat. Der Zufall hat es eben

Nach Wunsch gefügt. Heut ist das große Jagen,

An Fotheringhay führt der Weg vorbei,

Dort kann die Stuart sich im Park ergehn,

Du kommst ganz wie von ohngefähr dahin,

Es darf nichts als vorherbedacht erscheinen,

Und wenn es dir zuwider, redest du

Sie gar nicht an –

ELISABETH.

Begeh ich eine Torheit,

So ist es Eure, Leicester, nicht die meine.

Ich will Euch heute keinen Wunsch versagen,

Weil ich von meinen Untertanen allen

Euch heut am wehesten getan.


Ihn zärtlich ansehend.


Seis eine Grille nur von Euch. Dadurch[615]

Gibt Neigung sich ja kund, daß sie bewilligt

Aus freier Gunst, was sie auch nicht gebilligt.


Leicester stürzt zu ihren Fußen, der Vorhang fällt.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 612-616.
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