Siebenter Auftritt


[448] Beide Piccolomini.

Max kömmt in der heftigsten Gemütsbewegung, seine Blicke rollen wild, sein Gang ist unstet, er scheint den Vater nicht zu bemerken, der von ferne steht und ihn mitleidig ansieht. Mit großen Schritten geht er durch das Zimmer, bleibt wieder stehen, und wirft sich zuletzt in einen Stuhl, gerad vor sich hin starrend.


OCTAVIO nähert sich ihm.

Ich reise ab, mein Sohn.


Da er keine Antwort erhält, faßt er ihn bei der Hand.


Mein Sohn, leb wohl!

MAX.

Leb wohl![448]

OCTAVIO.

Du folgst mir doch bald nach?

MAX ohne ihn anzusehen.

Ich dir?

Dein Weg ist krumm, er ist der meine nicht.


Octavio läßt seine Hand los, fährt zurück.


O! wärst du wahr gewesen und gerade,

Nie kam es dahin, alles stünde anders!

Er hätte nicht das Schreckliche getan,

Die Guten hätten Kraft bei ihm behalten,

Nicht in der Schlechten Garn wär er gefallen.

Warum so heimlich, hinterlistig laurend,

Gleich einem Dieb und Diebeshelfer schleichen?

Unselge Falschheit! Mutter alles Bösen!

Du jammerbringende, verderbest uns!

Wahrhaftigkeit, die reine, hätt uns alle,

Die welterhaltende, gerettet. Vater!

Ich kann dich nicht entschuldigen, ich kanns nicht.

Der Herzog hat mich hintergangen, schrecklich,

Du aber hast viel besser nicht gehandelt.

OCTAVIO.

Mein Sohn, ach! ich verzeihe deinem Schmerz.

MAX steht auf, betrachtet ihn mit zweifelhaften Blicken.

Wärs möglich? Vater? Vater? Hättest dus

Mit Vorbedacht bis dahin treiben wollen?

Du steigst durch seinen Fall. Octavio,

Das will mir nicht gefallen.

OCTAVIO.

Gott im Himmel!

MAX.

Weh mir! Ich habe die Natur verändert,

Wie kommt der Argwohn in die freie Seele?

Vertrauen, Glaube, Hoffnung ist dahin,

Denn alles log mir, was ich hochgeachtet.

Nein! Nein! Nicht alles! Sie ja lebt mir noch,

Und sie ist wahr und lauter wie der Himmel.

Betrug ist überall und Heuchelschein,

Und Mord und Gift und Meineid und Verrat,

Der einzig reine Ort ist unsre Liebe,

Der unentweihte in der Menschlichkeit.

OCTAVIO.

Max! Folg mir lieber gleich, das ist doch besser.[449]

MAX.

Was? Eh ich Abschied noch von ihr genommen,

Den letzten – Nimmermehr!

OCTAVIO.

Erspare dir

Die Qual der Trennung, der notwendigen.

Komm mit mir! Komm, mein Sohn!


Will ihn fortziehn.


MAX.

Nein! So wahr Gott lebt!

OCTAVIO dringender.

Komm mit mir, ich gebiete dirs, dein Vater.

MAX.

Gebiete mir, was menschlich ist. Ich bleibe.

OCTAVIO.

Max! In des Kaisers Namen, folge mir!

MAX.

Kein Kaiser hat dem Herzen vorzuschreiben.

Und willst du mir das Einzige noch rauben,

Was mir mein Unglück übrigließ, ihr Mitleid?

Muß grausam auch das Grausame geschehn?

Das Unabänderliche soll ich noch

Unedel tun, mit heimlich feiger Flucht,

Wie ein Unwürdiger mich von ihr stehlen?

Sie soll mein Leiden sehen, meinen Schmerz,

Die Klagen hören der zerrißnen Seele,

Und Tränen um mich weinen – O! die Menschen

Sind grausam, aber sie ist wie ein Engel.

Sie wird von gräßlich wütender Verzweiflung

Die Seele retten, diesen Schmerz des Todes

Mit sanften Trostesworten klagend lösen.

OCTAVIO.

Du reißest dich nicht los, vermagst es nicht.

O! komm, mein Sohn, und rette deine Tugend!

MAX.

Verschwende deine Worte nicht vergebens,

Dem Herzen folg ich, denn ich darf ihm trauen.

OCTAVIO außer Fassung, zitternd.

Max! Max! Wenn das Entsetzliche mich trifft,

Wenn du – mein Sohn – mein eignes Blut – ich darfs

Nicht denken! dich dem Schändlichen verkaufst,

Dies Brandmal aufdrückst unsers Hauses Adel,

Dann soll die Welt das Schauderhafte sehn,

Und von des Vaters Blute triefen soll

Des Sohnes Stahl, im gräßlichen Gefechte.[450]

MAX.

O! hättest du vom Menschen besser stets

Gedacht, du hättest besser auch gehandelt.

Fluchwürdger Argwohn! Unglückselger Zweifel!

Es ist ihm Festes nichts und Unverrücktes,

Und alles wanket, wo der Glaube fehlt.

OCTAVIO.

Und trau ich deinem Herzen auch, wirds immer

In deiner Macht auch stehen, ihm zu folgen?

MAX.

Du hast des Herzens Stimme nicht bezwungen,

So wenig wird der Herzog es vermögen.

OCTAVIO.

O! Max, ich seh dich niemals wiederkehren!

MAX.

Unwürdig deiner wirst du nie mich sehn.

OCTAVIO.

Ich geh nach Frauenberg, die Pappenheimer

Laß ich dir hier, auch Lothringen, Toscana

Und Tiefenbach bleibt da, dich zu bedecken.

Sie lieben dich, und sind dem Eide treu,

Und werden lieber tapfer streitend fallen,

Als von dem Führer weichen und der Ehre.

MAX.

Verlaß dich drauf, ich lasse fechtend hier

Das Leben, oder führe sie aus Pilsen.

OCTAVIO aufbrechend.

Mein Sohn, leb wohl!

MAX.

Leb wohl!

OCTAVIO.

Wie? Keinen Blick

Der Liebe? Keinen Händedruck zum Abschied?

Es ist ein blutger Krieg, in den wir gehn,

Und ungewiß, verhüllt ist der Erfolg.

So pflegten wir uns vormals nicht zu trennen.

Ist es denn wahr? Ich habe keinen Sohn mehr?


Max fällt in seine Arme, sie halten einander lange schweigend umfaßt, dann entfernen sie sich nach verschiedenen Seiten.[451]


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 448-452.
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