Erste Szene


[942] Edelhof des Freiherrn von Attinghausen.

Ein gotischer Saal mit Wappenschildern und Helmen verziert. Der Freiherr ein Greis von fünfundachtzig Jahren, von hoher edler Statur, an einem Stabe, worauf ein Gemsenhorn, und in ein Pelzwams gekleidet. Kuoni und noch sechs Knechte stehen um ihn her mit Rechen und Sensen. – Ulrich von Rudenz tritt ein in Ritterkleidung.


RUDENZ.

Hier bin ich, Oheim – Was ist Euer Wille?

ATTINGHAUSEN.

Erlaubt, daß ich nach altem Hausgebrauch

Den Frühtrunk erst mit meinen Knechten teile.


Er trinkt aus einem Becher, der dann in der Reihe herumgeht.


Sonst war ich selber mit in Feld und Wald,

Mit meinem Auge ihren Fleiß regierend,

Wie sie mein Banner führte in der Schlacht,

Jetzt kann ich nichts mehr als den Schaffner machen,

Und kommt die warme Sonne nicht zu mir,

Ich kann sie nicht mehr suchen auf den Bergen.

Und so in enger stets und engerm Kreis,

Beweg ich mich dem engesten und letzten,

Wo alles Leben stillsteht, langsam zu,

Mein Schatte bin ich nur, bald nur mein Name.

KUONI zu Rudenz mit dem Becher.

Ich brings Euch, Junker.


[942] Da Rudenz zaudert, den Becher zu nehmen.


Trinket frisch! Es geht

Aus einem Becher und aus einem Herzen.

ATTINGHAUSEN.

Geht, Kinder, und wenns Feierabend ist,

Dann reden wir auch von des Lands Geschäften.


Knechte gehen ab.

Attinghausen und Rudenz.


ATTINGHAUSEN.

Ich sehe dich gegürtet und gerüstet,

Du willst nach Altorf in die Herrenburg?

RUDENZ.

Ja, Oheim, und ich darf nicht länger säumen –

ATTINGHAUSEN setzt sich.

Hast dus so eilig? Wie? Ist deiner Jugend

Die Zeit so karg gemessen, daß du sie

An deinem alten Oheim mußt ersparen?

RUDENZ.

Ich sehe, daß Ihr meiner nicht bedürft,

Ich bin ein Fremdling nur in diesem Hause.

ATTINGHAUSEN hat ihn lange mit den Augen gemustert.

Ja leider bist dus. Leider ist die Heimat

Zur Fremde dir geworden! – Uly! Uly!

Ich kenne dich nicht mehr. In Seide prangst du,

Die Pfauenfeder trägst du stolz zur Schau,

Und schlägst den Purpurmantel um die Schultern,

Den Landmann blickst du mit Verachtung an,

Und schämst dich seiner traulichen Begrüßung.

RUDENZ.

Die Ehr, die ihm gebührt, geb ich ihm gern,

Das Recht, das er sich nimmt, verweigr ich ihm.

ATTINGHAUSEN.

Das ganze Land liegt unterm schweren Zorn

Des Königs – Jedes Biedermannes Herz

Ist kummervoll ob der tyrannischen Gewalt,

Die wir erdulden – Dich allein rührt nicht

Der allgemeine Schmerz – Dich siehet man

Abtrünnig von den Deinen auf der Seite

Des Landesfeindes stehen, unsrer Not

Hohnsprechend nach der leichten Freude jagen,

Und buhlen um die Fürstengunst, indes

Dein Vaterland von schwerer Geißel blutet.[943]

RUDENZ.

Das Land ist schwer bedrängt – Warum, mein Oheim?

Wer ists, der es gestürzt in diese Not?

Es kostete ein einzig leichtes Wort,

Um augenblicks des Dranges los zu sein,

Und einen gnädgen Kaiser zu gewinnen.

Weh ihnen, die dem Volk die Augen halten,

Daß es dem wahren Besten widerstrebt.

Um eignen Vorteils willen hindern sie,

Daß die Waldstätte nicht zu Östreich schwören,

Wie ringsum alle Lande doch getan.

Wohl tut es ihnen, auf der Herrenbank

Zu sitzen mit dem Edelmann – den Kaiser

Will man zum Herrn, um keinen Herrn zu haben.

ATTINGHAUSEN.

Muß ich das hören und aus deinem Munde!

RUDENZ.

Ihr habt mich aufgefodert, laßt mich enden.

– Welche Person ists, Oheim, die Ihr selbst

Hier spielt, Habt Ihr nicht höhern Stolz, als hier

Landammann oder Bannerherr zu sein

Und neben diesen Hirten zu regieren?

Wie? Ists nicht eine rühmlichere Wahl,

Zu huldigen dem königlichen Herrn,

Sich an sein glänzend Lager anzuschließen,

Als Eurer eignen Knechte Pair zu sein,

Und zu Gericht zu sitzen mit dem Bauer?

ATTINGHAUSEN.

Ach Uly! Uly! Ich erkenne sie,

Die Stimme der Verführung! Sie ergriff

Dein offnes Ohr, sie hat dein Herz vergiftet.

RUDENZ.

Ja, ich verberg es nicht – in tiefer Seele

Schmerzt mich der Spott der Fremdlinge, die uns

Den Baurenadel schelten – Nicht ertrag ichs,

Indes die edle Jugend rings umher

Sich Ehre sammelt unter Habsburgs Fahnen,

Auf meinem Erb hier müßig stillzuliegen,

Und bei gemeinem Tagewerk den Lenz

Des Lebens zu verlieren – Anderswo[944]

Geschehen Taten, eine Welt des Ruhms

Bewegt sich glänzend jenseits dieser Berge –

Mir rosten in der Halle Helm und Schild,

Der Kriegstrommete mutiges Getön,

Der Heroldsruf, der zum Turniere ladet,

Er dringt in diese Täler nicht herein,

Nichts als den Kuhreihn und der Herdeglocken

Einförmiges Geläut vernehm ich hier.

ATTINGHAUSEN.

Verblendeter, vom eiteln Glanz verführt!

Verachte dein Geburtsland! Schäme dich

Der uralt frommen Sitte deiner Väter!

Mit heißen Tränen wirst du dich dereinst

Heimsehnen nach den väterlichen Bergen,

Und dieses Herdenreihens Melodie,

Die du in stolzem Überdruß verschmähst,

Mit Schmerzenssehnsucht wird sie dich ergreifen,

Wenn sie dir anklingt auf der fremden Erde.

O, mächtig ist der Trieb des Vaterlands!

Die fremde falsche Welt ist nicht für dich,

Dort an dem stolzen Kaiserhof bleibst du

Dir ewig fremd mit deinem treuen Herzen!

Die Welt, sie fodert andre Tugenden,

Als du in diesen Tälern dir erworben.

– Geh hin, verkaufe deine freie Seele,

Nimm Land zu Lehen, werd ein Fürstenknecht,

Da du ein Selbstherr sein kannst und ein Fürst

Auf deinem eignen Erb und freien Boden.

Ach Uly! Uly! Bleibe bei den Deinen!

Geh nicht nach Altorf – O, verlaß sie nicht,

Die heilge Sache deines Vaterlands!

– Ich bin der Letzte meines Stamms. Mein Name

Endet mit mir. Da hängen Helm und Schild,

Die werden sie mir in das Grab mitgeben.

Und muß ich denken bei dem letzten Hauch,

Daß du mein brechend Auge nur erwartest,

Um hinzugehn vor diesen neuen Lehenhof,[945]

Und meine edeln Güter, die ich frei

Von Gott empfing, von Östreich zu empfangen!

RUDENZ.

Vergebens widerstreben wir dem König,

Die Welt gehört ihm, wollen wir allein

Uns eigensinnig steifen und verstocken,

Die Länderkette ihm zu unterbrechen,

Die er gewaltig rings um uns gezogen?

Sein sind die Märkte, die Gerichte, sein

Die Kaufmannsstraßen, und das Saumroß selbst,

Das auf dem Gotthard ziehet, muß ihm zollen.

Von seinen Ländern wie mit einem Netz

Sind wir umgarnet rings und eingeschlossen.

– Wird uns das Reich beschützen? Kann es selbst

Sich schützen gegen Östreichs wachsende Gewalt?

Hilft Gott uns nicht, kein Kaiser kann uns helfen.

Was ist zu geben auf der Kaiser Wort,

Wenn sie in Geld- und Kriegesnot die Städte,

Die untern Schirm des Adlers sich geflüchtet,

Verpfänden dürfen und dem Reich veräußern?

– Nein, Oheim! Wohltat ists und weise Vorsicht,

In diesen schweren Zeiten der Parteiung

Sich anzuschließen an ein mächtig Haupt.

Die Kaiserkrone geht von Stamm zu Stamm,

Die hat für treue Dienste kein Gedächtnis,

Doch um den mächtgen Erbherrn wohl verdienen,

Heißt Saaten in die Zukunft streun.

ATTINGHAUSEN.

Bist du so weise?

Willst heller sehn, als deine edeln Väter,

Die um der Freiheit kostbarn Edelstein

Mit Gut und Blut und Heldenkraft gestritten?

– Schiff nach Luzern hinunter, frage dort,

Wie Östreichs Herrschaft lastet auf den Ländern!

Sie werden kommen, unsre Schaf und Rinder

Zu zählen, unsre Alpen abzumessen,

Den Hochflug und das Hochgewilde bannen

In unsern freien Wäldern, ihren Schlagbaum[946]

An unsre Brücken, unsre Tore setzen,

Mit unsrer Armut ihre Länderkäufe,

Mit unserm Blute ihre Kriege zahlen –

– Nein, wenn wir unser Blut dransetzen sollen,

So seis für uns – wohlfeiler kaufen wir

Die Freiheit als die Knechtschaft ein!

RUDENZ.

Was können wir,

Ein Volk der Hirten, gegen Albrechts Heere!

ATTINGHAUSEN.

Lern dieses Volk der Hirten kennen, Knabe!

Ich kenns, ich hab es angeführt in Schlachten,

Ich hab es fechten sehen bei Favenz.

Sie sollen kommen, uns ein Joch aufzwingen,

Das wir entschlossen sind, nicht zu ertragen!

– O lerne fühlen, welches Stamms du bist!

Wirf nicht für eiteln Glanz und Flitterschein

Die echte Perle deines Wertes hin –

Das Haupt zu heißen eines freien Volks,

Das dir aus Liebe nur sich herzlich weiht,

Das treulich zu dir steht in Kampf und Tod –

Das sei dein Stolz, des Adels rühme dich –

Die angebornen Bande knüpfe fest,

Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an,

Das halte fest mit deinem ganzen Herzen.

Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft,

Dort in der fremden Welt stehst du allein,

Ein schwankes Rohr, das jeder Sturm zerknickt.

O komm, du hast uns lang nicht mehr gesehn,

Versuchs mit uns nur einen Tag – nur heute

Geh nicht nach Altorf – Hörst du? Heute nicht,

Den einen Tag nur schenke dich den Deinen!


Er faßt seine Hand.


RUDENZ.

Ich gab mein Wort – Laßt mich – Ich bin gebunden.

ATTINGHAUSEN läßt seine Hand los, mit Ernst.

Du bist gebunden – Ja, Unglücklicher!

Du bists, doch nicht durch Wort und Schwur,

Gebunden bist du durch der Liebe Seile!


[947] Rudenz wendet sich weg.


– Verbirg dich, wie du willst. Das Fräulein ists,

Berta von Bruneck, die zur Herrenburg

Dich zieht, dich fesselt an des Kaisers Dienst.

Das Ritterfräulein willst du dir erwerben

Mit deinem Abfall von dem Land – Betrüg dich nicht!

Dich anzulocken zeigt man dir die Braut,

Doch deiner Unschuld ist sie nicht beschieden.

RUDENZ.

Genug hab ich gehört. Gehabt Euch wohl.


Er geht ab.


ATTINGHAUSEN.

Wahnsinnger Jüngling, bleib! – Er geht dahin!

Ich kann ihn nicht erhalten, nicht erretten –

So ist der Wolfenschießen abgefallen

Von seinem Land – so werden andre folgen,

Der fremde Zauber reißt die Jugend fort,

Gewaltsam strebend über unsre Berge.

– O unglückselge Stunde, da das Fremde

In diese still beglückten Täler kam,

Der Sitten fromme Unschuld zu zerstören!

Das Neue dringt herein mit Macht, das Alte,

Das Würdge scheidet, andre Zeiten kommen,

Es lebt ein andersdenkendes Geschlecht!

Was tu ich hier? Sie sind begraben alle,

Mit denen ich gewaltet und gelebt.

Unter der Erde schon liegt meine Zeit;

Wohl dem, der mit der neuen nicht mehr braucht zu leben!


Geht ab.[948]


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 942-949.
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