Erste Szene


[965] Hof vor Tells Hause.

Er ist mit der Zimmeraxt, Hedwig mit einer häuslichen Arbeit beschäftigt.

Walter und Wilhelm in der Tiefe spielen mit einer kleinen Armbrust.


WALTER singt.

Mit dem Pfeil, dem Bogen

Durch Gebirg und Tal

Kommt der Schütz gezogen

Früh am Morgenstrahl.


Wie im Reiche der Lüfte

König ist der Weih, –

Durch Gebirg und Klüfte

Herrscht der Schütze frei.[965]


Ihm gehört das Weite,

Was sein Pfeil erreicht,

Das ist seine Beute,

Was da kreucht und fleugt.


Kommt gesprungen.


Der Strang ist mir entzwei. Mach mir ihn, Vater.

TELL.

Ich nicht. Ein rechter Schütze hilft sich selbst.


Knaben entfernen sich.


HEDWIG.

Die Knaben fangen zeitig an zu schießen.

TELL.

Früh übt sich, was ein Meister werden will.

HEDWIG.

Ach wollte Gott, sie lerntens nie!

TELL.

Sie sollen alles lernen. Wer durchs Leben

Sich frisch will schlagen, muß zu Schutz und Trutz

Gerüstet sein.

HEDWIG.

Ach, es wird keiner seine Ruh

Zu Hause finden.

TELL.

Mutter, ich kanns auch nicht,

Zum Hirten hat Natur mich nicht gebildet,

Rastlos muß ich ein flüchtig Ziel verfolgen,

Dann erst genieß ich meines Lebens recht,

Wenn ich mirs jeden Tag aufs neu erbeute.

HEDWIG.

Und an die Angst der Hausfrau denkst du nicht,

Die sich indessen, deiner wartend, härmt,

Denn mich erfüllts mit Grausen, was die Knechte

Von euren Wagefahrten sich erzählen.

Bei jedem Abschied zittert mir das Herz,

Daß du mir nimmer werdest wiederkehren.

Ich sehe dich im wilden Eisgebirg,

Verirrt, von einer Klippe zu der andern

Den Fehlsprung tun, seh, wie die Gemse dich

Rückspringend mit sich in den Abgrund reißt,

Wie eine Windlawine dich verschüttet,

Wie unter dir der trügerische Firn

Einbricht und du hinabsinkst, ein lebendig

Begrabner, in die schauerliche Gruft –[966]

Ach, den verwegnen Alpenjäger hascht

Der Tod in hundert wechselnden Gestalten,

Das ist ein unglückseliges Gewerb,

Das halsgefährlich führt am Abgrund hin!

TELL.

Wer frisch umherspäht mit gesunden Sinnen,

Auf Gott vertraut und die gelenke Kraft,

Der ringt sich leicht aus jeder Fahr und Not,

Den schreckt der Berg nicht, der darauf geboren.


Er hat seine Arbeit vollendet, legt das Gerät hinweg.


Jetzt, mein ich, hält das Tor auf Jahr und Tag.

Die Axt im Haus erspart den Zimmermann.


Nimmt den Hut.


HEDWIG.

Wo gehst du hin?

TELL.

Nach Altorf, zu dem Vater.

HEDWIG.

Sinnst du auch nichts Gefährliches? Gesteh mirs.

TELL.

Wie kommst du darauf, Frau?

HEDWIG.

Es spinnt sich etwas

Gegen die Vögte – Auf dem Rütli ward

Getagt, ich weiß, und du bist auch im Bunde.

TELL.

Ich war nicht mit dabei – doch werd ich mich

Dem Lande nicht entziehen, wenn es ruft.

HEDWIG.

Sie werden dich hinstellen, wo Gefahr ist,

Das Schwerste wird dein Anteil sein, wie immer.

TELL.

Ein jeder wird besteuert nach Vermögen.

HEDWIG.

Den Unterwaldner hast du auch im Sturme

Über den See geschafft – Ein Wunder wars,

Daß ihr entkommen – Dachtest du denn gar nicht

An Kind und Weib?

TELL.

Lieb Weib, ich dacht an euch,

Drum rettet ich den Vater seinen Kindern.

HEDWIG.

Zu schiffen in dem wütgen See! Das heißt

Nicht Gott vertrauen! Das heißt Gott versuchen.

TELL.

Wer gar zuviel bedenkt, wird wenig leisten.

HEDWIG.

Ja, du bist gut und hilfreich, dienest allen,

Und wenn du selbst in Not kommst, hilft dir keiner.

TELL.

Verhüt es Gott, daß ich nicht Hülfe brauche.


Er nimmt die Armbrust und Pfeile.[967]


HEDWIG.

Was willst du mit der Armbrust? Laß sie hier.

TELL.

Mir fehlt der Arm, wenn mir die Waffe fehlt.


Die Knaben kommen zurück.


WALTER.

Vater, wo gehst du hin?

TELL.

Nach Altorf, Knabe,

Zum Ehni – Willst du mit?

WALTER.

Ja freilich will ich.

HEDWIG.

Der Landvogt ist jetzt dort. Bleib weg von Altorf.

TELL.

Er geht, noch heute.

HEDWIG.

Drum laß ihn erst fort sein.

Gemahn ihn nicht an dich, du weißt, er grollt uns.

TELL.

Mir soll sein böser Wille nicht viel schaden,

Ich tue recht und scheue keinen Feind.

HEDWIG.

Die recht tun, eben die haßt er am meisten.

TELL.

Weil er nicht an sie kommen kann – Mich wird

Der Ritter wohl in Frieden lassen, mein ich.

HEDWIG.

So, weißt du das?

TELL.

Es ist nicht lange her,

Da ging ich jagen durch die wilden Gründe

Des Schächentals auf menschenleerer Spur,

Und da ich einsam einen Felsensteig

Verfolgte, wo nicht auszuweichen war,

Denn über mir hing schroff die Felswand her,

Und unten rauschte fürchterlich der Schächen,


Die Knaben drängen sich rechts und links an ihn und sehen mit gespannter Neugier an ihm hinauf.


Da kam der Landvogt gegen mich daher,

Er ganz allein mit mir, der auch allein war,

Bloß Mensch zu Mensch, und neben uns der Abgrund.

Und als der Herre mein ansichtig ward

Und mich erkannte, den er kurz zuvor

Um kleiner Ursach willen schwer gebüßt,

Und sah mich mit dem stattlichen Gewehr

Dahergeschritten kommen, da verblaßt' er,

Die Knie versagten ihm, ich sah es kommen,[968]

Daß er jetzt an die Felswand würde sinken.

– Da jammerte mich sein, ich trat zu ihm

Bescheidentlich und sprach: Ich bins, Herr Landvogt.

Er aber konnte keinen armen Laut

Aus seinem Munde geben – Mit der Hand nur

Winkt' er mir schweigend, meines Wegs zu gehn,

Da ging ich fort und sandt ihm sein Gefolge.

HEDWIG.

Er hat vor dir gezittert – Wehe dir!

Daß du ihn schwach gesehn, vergibt er nie.

TELL.

Drum meid ich ihn, und er wird mich nicht suchen.

HEDWIG.

Bleib heute nur dort weg. Geh lieber jagen.

TELL.

Was fällt dir ein?

HEDWIG.

Mich ängstigts. Bleibe weg.

TELL.

Wie kannst du dich so ohne Ursach quälen?

HEDWIG.

Weils keine Ursach hat – Tell, bleibe hier.

TELL.

Ich habs versprochen, liebes Weib, zu kommen.

HEDWIG.

Mußt du, so geh – Nur lasse mir den Knaben!

WALTER.

Nein, Mütterchen. Ich gehe mit dem Vater.

HEDWIG.

Wälty, verlassen willst du deine Mutter?

WALTER.

Ich bring dir auch was Hübsches mit vom Ehni.


Geht mit dem Vater.


WILHELM.

Mutter, ich bleibe bei dir!

HEDWIG umarmt ihn.

Ja, du bist

Mein liebes Kind, du bleibst mir noch allein!


Sie geht an das Hoftor und folgt den Abgehenden lange mit den Augen.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 965-969.
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