Dritte Szene


[974] Wiese bei Altorf. Im Vordergrund Bäume, in der Tiefe der Hut auf einer Stange. Der Prospekt wird begrenzt durch den Bannberg, über welchem ein Schneegebirg emporragt.

Frießhardt und Leuthold halten Wache.


FRIESSHARDT.

Wir passen auf umsonst. Es will sich niemand

Heranbegeben und dem Hut sein' Reverenz

Erzeigen. 's war doch sonst wie Jahrmarkt hier,

Jetzt ist der ganze Anger wie verödet,

Seitdem der Popanz auf der Stange hängt.

LEUTHOLD.

Nur schlecht Gesindel läßt sich sehn und schwingt

Uns zum Verdrieße die zerlumpten Mützen.

Was rechte Leute sind, die machen lieber

Den langen Umweg um den halben Flecken,

Eh sie den Rücken beugten vor dem Hut.

FRIESSHARDT.

Sie müssen über diesen Platz, wenn sie

Vom Rathaus kommen um die Mittagstunde.

Da meint ich schon, 'nen guten Fang zu tun,

Denn keiner dachte dran, den Hut zu grüßen.

Da siehts der Pfaff, der Rösselmann – kam just

Von einem Kranken her – und stellt sich hin

Mit dem Hochwürdigen, grad vor die Stange –

Der Sigrist mußte mit dem Glöcklein schellen,[974]

Da fielen all aufs Knie, ich selber mit,

Und grüßten die Monstranz, doch nicht den Hut. –

LEUTHOLD.

Höre, Gesell, es fängt mir an zu deuchten,

Wir stehen hier am Pranger vor dem Hut,

's ist doch ein Schimpf für einen Reitersmann,

Schildwach zu stehn vor einem leeren Hut –

Und jeder rechte Kerl muß uns verachten.

– Die Reverenz zu machen einem Hut,

Es ist doch traun! ein närrischer Befehl!

FRIESSHARDT.

Warum nicht einem leeren, hohlen Hut?

Bückst du dich doch vor manchem hohlen Schädel.


Hildegard, Mechthild und Elsbet treten auf mit Kindern und stellen sich um die Stange.


LEUTHOLD.

Und du bist auch so ein dienstfertger Schurke,

Und brächtest wackre Leute gern ins Unglück.

Mag, wer da will, am Hut vorübergehn,

Ich drück die Augen zu und seh nicht hin.

MECHTHILD.

Da hängt der Landvogt – Habt Respekt, ihr Buben.

ELSBET.

Wollts Gott, er ging, und ließ uns seinen Hut,

Es sollte drum nicht schlechter stehn ums Land!

FRIESSHARDT verscheucht sie.

Wollt ihr vom Platz? Verwünschtes Volk der Weiber!

Wer fragt nach euch? Schickt eure Männer her,

Wenn sie der Mut sticht, dem Befehl zu trotzen.


Weiber gehen.

Tell mit der Armbrust tritt auf, den Knaben an der Hand führend. Sie gehen an dem Hut vorbei gegen die vordere Szene, ohne darauf zu achten.


WALTER zeigt nach dem Bannberg.

Vater, ists wahr, daß auf dem Berge dort

Die Bäume bluten, wenn man einen Streich

Drauf führte mit der Axt?

TELL.

Wer sagt das, Knabe?

WALTER.

Der Meister Hirt erzählts – Die Bäume seien

Gebannt, sagt er, und wer sie schädige,

Dem wachse sein Hand heraus zum Grabe.

TELL.

Die Bäume sind gebannt, das ist die Wahrheit.[975]

– Siehst du die Firnen dort, die weißen Hörner,

Die hoch bis in den Himmel sich verlieren?

WALTER.

Das sind die Gletscher, die des Nachts so donnern,

Und uns die Schlaglawinen niedersenden.

TELL.

So ists, und die Lawinen hätten längst

Den Flecken Altorf unter ihrer Last

Verschüttet, wenn der Wald dort oben nicht

Als eine Landwehr sich dagegenstellte.

WALTER nach einigem Besinnen.

Gibts Länder, Vater, wo nicht Berge sind?

TELL.

Wenn man hinuntersteigt von unsern Höhen,

Und immer tiefer steigt, den Strömen nach,

Gelangt man in ein großes, ebnes Land,

Wo die Waldwasser nicht mehr brausend schäumen,

Die Flüsse ruhig und gemächlich ziehn,

Da sieht man frei nach allen Himmelsräumen,

Das Korn wächst dort in langen, schönen Auen,

Und wie ein Garten ist das Land zu schauen.

WALTER.

Ei, Vater, warum steigen wir denn nicht

Geschwind hinab in dieses schöne Land,

Statt daß wir uns hier ängstigen und plagen?

TELL.

Das Land ist schön und gütig wie der Himmel,

Doch die's bebauen, sie genießen nicht

Den Segen, den sie pflanzen.

WALTER.

Wohnen sie

Nicht frei wie du auf ihrem eignen Erbe?

TELL.

Das Feld gehört dem Bischof und dem König.

WALTER.

So dürfen sie doch frei in Wäldern jagen?

TELL.

Dem Herrn gehört das Wild und das Gefieder.

WALTER.

Sie dürfen doch frei fischen in dem Strom?

TELL.

Der Strom, das Meer, das Salz gehört dem König.

WALTER.

Wer ist der König denn, den alle fürchten?

TELL.

Es ist der eine, der sie schützt und nährt.

WALTER.

Sie können sich nicht mutig selbst beschützen?

TELL.

Dort darf der Nachbar nicht dem Nachbar trauen.

WALTER.

Vater, es wird mir eng im weiten Land,[976]

Da wohn ich lieber unter den Lawinen.

TELL.

Ja, wohl ists besser, Kind, die Gletscherberge

Im Rücken haben, als die bösen Menschen.


Sie wollen vorübergehen.


WALTER.

Ei, Vater, sieh den Hut dort auf der Stange.

TELL.

Was kümmert uns der Hut? Komm, laß uns gehen.


Indem er abgehen will, tritt ihm Frießhardt mit vorgehaltner Pike entgegen.


FRIESSHARDT.

In des Kaisers Namen! Haltet an und steht!

TELL greift in die Pike.

Was wollt Ihr? Warum haltet Ihr mich auf?

FRIESSHARDT.

Ihr habts Mandat verletzt, Ihr müßt uns folgen.

LEUTHOLD.

Ihr habt dem Hut nicht Reverenz bewiesen.

TELL.

Freund, laß mich gehen.

FRIESSHARDT.

Fort, fort ins Gefängnis!

WALTER.

Den Vater ins Gefängnis! Hülfe! Hülfe!


In die Szene rufend.


Herbei, ihr Männer, gute Leute, helft,

Gewalt, Gewalt, sie führen ihn gefangen.


Rösselmann der Pfarrer und Petermann der Sigrist kommen herbei, mit drei andern Männern.


SIGRIST.

Was gibts?

RÖSSELMANN.

Was legst du Hand an diesen Mann?

FRIESSHARDT.

Er ist ein Feind des Kaisers, ein Verräter!

TELL faßt ihn heftig.

Ein Verräter, ich!

RÖSSELMANN.

Du irrst dich, Freund, das ist

Der Tell, ein Ehrenmann und guter Bürger.

WALTER erblickt Walter Fürsten und eilt ihm entgegen.

Großvater, hilf, Gewalt geschieht dem Vater.

FRIESSHARDT.

Ins Gefängnis, fort!

WALTER FÜRST herbeieilend.

Ich leiste Bürgschaft, haltet!

– Um Gotteswillen, Tell, was ist geschehen?


Melchthal und Stauffacher kommen.


FRIESSHARDT.

Des Landvogts oberherrliche Gewalt

Verachtet er, und will sie nicht erkennen.

STAUFFACHER.

Das hätt der Tell getan?[977]

MELCHTHAL.

Das lügst du, Bube!

LEUTHOLD.

Er hat dem Hut nicht Reverenz bewiesen.

WALTER FÜRST.

Und darum soll er ins Gefängnis? Freund,

Nimm meine Bürgschaft an und laß ihn ledig.

FRIESSHARDT.

Bürg du für dich und deinen eignen Leib!

Wir tun, was unsers Amtes – Fort mit ihm!

MELCHTHAL zu den Landleuten.

Nein, das ist schreiende Gewalt! Ertragen wirs,

Daß man ihn fortführt, frech, vor unsern Augen?

SIGRIST.

Wir sind die Stärkern. Freunde, duldets nicht,

Wir haben einen Rücken an den andern!

FRIESSHARDT.

Wer widersetzt sich dem Befehl des Vogts?

NOCH DREI LANDLEUTE herbeieilend.

Wir helfen euch. Was gibts? Schlagt sie zu Boden.


Hildegard, Mechthild und Elsbet kommen zurück.


TELL.

Ich helfe mir schon selbst. Geht, gute Leute,

Meint ihr, wenn ich die Kraft gebrauchen wollte,

Ich würde mich vor ihren Spießen fürchten?

MELCHTHAL zu Frießhardt.

Wags, ihn aus unsrer Mitte wegzuführen!

WALTER FÜRST UND STAUFFACHER.

Gelassen! Ruhig!

FRIESSHARDT schreit.

Aufruhr und Empörung!


Man hört Jagdhörner.


WEIBER.

Da kommt der Landvogt!

FRIESSHARDT erhebt die Stimme.

Meuterei! Empörung!

STAUFFACHER.

Schrei, bis du berstest, Schurke!

RÖSSELMANN UND MELCHTHAL.

Willst du schweigen?

FRIESSHARDT ruft noch lauter.

Zu Hülf, zu Hülf den Dienern des Gesetzes.

WALTER FÜRST.

Da ist der Vogt! Weh uns, was wird das werden!


Geßler zu Pferd, den Falken auf der Faust, Rudolf der Harras, Berta und Rudenz, ein großes Gefolge von bewaffneten Knechten, welche einen Kreis von Piken um die ganze Szene schließen.


RUDOLF DER HARRAS.

Platz, Platz dem Landvogt!

GESSLER.

Treibt sie auseinander![978]

Was läuft das Volk zusammen? Wer ruft Hülfe?


Allgemeine Stille.


Wer wars? Ich will es wissen.


Zu Frießhardt.


Du tritt vor!

Wer bist du und was hältst du diesen Mann?


Er gibt den Falken einem Diener.


FRIESSHARDT.

Gestrenger Herr, ich bin dein Waffenknecht

Und wohlbestellter Wächter bei dem Hut.

Diesen Mann ergriff ich über frischer Tat,

Wie er dem Hut den Ehrengruß versagte.

Verhaften wollt ich ihn, wie du befahlst,

Und mit Gewalt will ihn das Volk entreißen.

GESSLER nach einer Pause.

Verachtest du so deinen Kaiser, Tell,

Und mich, der hier an seiner Statt gebietet,

Daß du die Ehr versagst dem Hut, den ich

Zur Prüfung des Gehorsams aufgehangen?

Dein böses Trachten hast du mir verraten.

TELL.

Verzeiht mir, lieber Herr! Aus Unbedacht,

Nicht aus Verachtung Eurer ists geschehn,

Wär ich besonnen, hieß ich nicht der Tell,

Ich bitt um Gnad, es soll nicht mehr begegnen.

GESSLER nach einigem Stillschweigen.

Du bist ein Meister auf der Armbrust, Tell,

Man sagt, du nähmst es auf mit jedem Schützen?

WALTER TELL.

Und das muß wahr sein, Herr – 'nen Apfel schießt

Der Vater dir vom Baum auf hundert Schritte.

GESSLER.

Ist das dein Knabe, Tell?

TELL.

Ja, lieber Herr.

GESSLER.

Hast du der Kinder mehr?

TELL.

Zwei Knaben, Herr.

GESSLER.

Und welcher ists, den du am meisten liebst?

TELL.

Herr, beide sind sie mir gleich liebe Kinder.

GESSLER.

Nun, Tell! weil du den Apfel triffst vom Baume

Auf hundert Schritte, so wirst du deine Kunst

Vor mir bewähren müssen – Nimm die Armbrust –[979]

Du hast sie gleich zur Hand – und mach dich fertig,

Einen Apfel von des Knaben Kopf zu schießen –

Doch will ich raten, ziele gut, daß du

Den Apfel treffest auf den ersten Schuß,

Denn fehlst du ihn, so ist dein Kopf verloren.


Alle geben Zeichen des Schreckens.


TELL.

Herr – Welches Ungeheure sinnet Ihr

Mir an – Ich soll vom Haupte meines Kindes –

– Nein, nein doch, lieber Herr, das kömmt Euch nicht

Zu Sinn – Verhüts der gnädge Gott – das könnt Ihr

Im Ernst von einem Vater nicht begehren!

GESSLER.

Du wirst den Apfel schießen von dem Kopf

Des Knaben – Ich begehrs und wills.

TELL.

Ich soll

Mit meiner Armbrust auf das liebe Haupt

Des eignen Kindes zielen – Eher sterb ich!

GESSLER.

Du schießest oder stirbst mit deinem Knaben.

TELL.

Ich soll der Mörder werden meines Kinds!

Herr, Ihr habt keine Kinder – wisset nicht,

Was sich bewegt in eines Vaters Herzen.

GESSLER.

Ei, Tell, du bist ja plötzlich so besonnen!

Man sagte mir, daß du ein Träumer seist,

Und dich entfernst von andrer Menschen Weise.

Du liebst das Seltsame – drum hab ich jetzt

Ein eigen Wagstück für dich ausgesucht.

Ein andrer wohl bedächte sich – Du drückst

Die Augen zu, und greifst es herzhaft an.

BERTA.

Scherzt nicht, o Herr! mit diesen armen Leuten!

Ihr seht sie bleich und zitternd stehn – So wenig

Sind sie Kurzweils gewohnt aus Eurem Munde.

GESSLER.

Wer sagt Euch, daß ich scherze?


Greift nach einem Baumzweige, der über ihn herhängt.


Hier ist der Apfel.

Man mache Raum – Er nehme seine Weite,

Wies Brauch ist – Achtzig Schritte geb ich ihm –

Nicht weniger, noch mehr – Er rühmte sich,[980]

Auf ihrer hundert seinen Mann zu treffen –

Jetzt, Schütze, triff, und fehle nicht das Ziel!

RUDOLF DER HARRAS.

Gott, das wird ernsthaft – Falle nieder, Knabe,

Es gilt, und fleh den Landvogt um dein Leben.

WALTER FÜRST beiseite zu Melchthal, der kaum seine Ungeduld bezwingt.

Haltet an Euch, ich fleh Euch drum, bleibt ruhig.

BERTA zum Landvogt.

Laßt es genug sein, Herr! Unmenschlich ists,

Mit eines Vaters Angst also zu spielen.

Wenn dieser arme Mann auch Leib und Leben

Verwirkt durch seine leichte Schuld, bei Gott!

Er hätte jetzt zehnfachen Tod empfunden.

Entlaßt ihn ungekränkt in seine Hütte,

Er hat Euch kennen lernen, dieser Stunde

Wird er und seine Kindeskinder denken.

GESSLER.

Öffnet die Gasse – Frisch! Was zauderst du?

Dein Leben ist verwirkt, ich kann dich töten,

Und sieh, ich lege gnädig dein Geschick

In deine eigne kunstgeübte Hand.

Der kann nicht klagen über harten Spruch,

Den man zum Meister seines Schicksals macht.

Du rühmst dich deines sichern Blicks. Wohlan!

Hier gilt es, Schütze, deine Kunst zu zeigen,

Das Ziel ist würdig und der Preis ist groß!

Das Schwarze treffen in der Scheibe, das

Kann auch ein andrer! der ist mir der Meister,

Der seiner Kunst gewiß ist überall,

Dems Herz nicht in die Hand tritt noch ins Auge.

WALTER FÜRST wirft sich vor ihm nieder.

Herr Landvogt, wir erkennen Eure Hoheit,

Doch lasset Gnad vor Recht ergehen, nehmt

Die Hälfte meiner Habe, nehmt sie ganz,

Nur dieses Gräßliche erlasset einem Vater!

WALTER TELL.

Großvater, knie nicht vor dem falschen Mann!

Sagt, wo ich hinstehn soll, ich fürcht mich nicht,

Der Vater trifft den Vogel ja im Flug,[981]

Er wird nicht fehlen auf das Herz des Kindes.

STAUFFACHER.

Herr Landvogt, rührt Euch nicht des Kindes Unschuld?

RÖSSELMANN.

O denket, daß ein Gott im Himmel ist,

Dem Ihr müßt Rede stehn für Eure Taten.

GESSLER zeigt auf den Knaben.

Man bind ihn an die Linde dort!

WALTER TELL.

Mich binden!

Nein, ich will nicht gebunden sein. Ich will

Still halten, wie ein Lamm, und auch nicht atmen.

Wenn ihr mich bindet, nein, so kann ichs nicht,

So werd ich toben gegen meine Bande.

RUDOLF DER HARRAS.

Die Augen nur laß dir verbinden, Knabe.

WALTER TELL.

Warum die Augen? Denket Ihr, ich fürchte

Den Pfeil von Vaters Hand? Ich will ihn fest

Erwarten, und nicht zucken mit den Wimpern.

– Frisch, Vater, zeigs, daß du ein Schütze bist,

Er glaubt dirs nicht, er denkt uns zu verderben –

Dem Wütrich zum Verdrusse, schieß und triff.


Er geht an die Linde, man legt ihm den Apfel auf.


MELCHTHAL zu den Landleuten.

Was? Soll der Frevel sich vor unsern Augen

Vollenden? Wozu haben wir geschworen?

STAUFFACHER.

Es ist umsonst. Wir haben keine Waffen,

Ihr seht den Wald von Lanzen um uns her.

MELCHTHAL.

O hätten wirs mit frischer Tat vollendet,

Verzeihs Gott denen, die zum Aufschub rieten!

GESSLER zum Tell.

Ans Werk! Man führt die Waffen nicht vergebens.

Gefährlich ists, ein Mordgewehr zu tragen,

Und auf den Schützen springt der Pfeil zurück.

Dies stolze Recht, das sich der Bauer nimmt,

Beleidiget den höchsten Herrn des Landes.

Gewaffnet sei niemand, als wer gebietet.

Freuts euch, den Pfeil zu führen und den Bogen,

Wohl, so will ich das Ziel euch dazu geben.

TELL spannt die Armbrust und legt den Pfeil auf.[982]

Öffnet die Gasse! Platz!

STAUFFACHER.

Was, Tell? Ihr wolltet – Nimmermehr – Ihr zittert,

Die Hand erbebt Euch, Eure Kniee wanken –

TELL läßt die Armbrust sinken.

Mir schwimmt es vor den Augen!

WEIBER.

Gott im Himmel!

TELL zum Landvogt.

Erlasset mir den Schuß. Hier ist mein Herz!


Er reißt die Brust auf.


Ruft Eure Reisigen und stoßt mich nieder.

GESSLER.

Ich will dein Leben nicht, ich will den Schuß.

– Du kannst ja alles, Tell, an nichts verzagst du,

Das Steuerruder führst du wie den Bogen,

Dich schreckt kein Sturm, wenn es zu retten gilt,

Jetzt, Retter, hilf dir selbst – du rettest alle!


Tell steht in fürchterlichem Kampf, mit den Händen zuckend und die rollenden Augen bald auf den Landvogt, bald zum Himmel gerichtet. – Plötzlich greift er in seinen Köcher, nimmt einen zweiten Pfeil heraus und steckt ihn in seinen Goller. Der Landvogt bemerkt alle diese Bewegungen.


WALTER TELL unter der Linde.

Vater, schieß zu, ich fürcht mich nicht.

TELL.

Es muß!


Er rafft sich zusammen und legt an.


RUDENZ der die ganze Zeit über in der heftigsten Spannung gestanden und mit Gewalt an sich gehalten, tritt hervor.

Herr Landvogt, weiter werdet Ihrs nicht treiben,

Ihr werdet nicht – Es war nur eine Prüfung –

Den Zweck habt Ihr erreicht – Zu weit getrieben

Verfehlt die Strenge ihres weisen Zwecks,

Und allzu straff gespannt zerspringt der Bogen.

GESSLER.

Ihr schweigt, bis man Euch aufruft.

RUDENZ.

Ich will reden,

Ich darfs, des Königs Ehre ist mir heilig,

Doch solches Regiment muß Haß erwerben.

Das ist des Königs Wille nicht – Ich darfs

Behaupten – Solche Grausamkeit verdient

Mein Volk nicht, dazu habt Ihr keine Vollmacht.[983]

GESSLER.

Ha, Ihr erkühnt Euch!

RUDENZ.

Ich hab still geschwiegen

Zu allen schweren Taten, die ich sah,

Mein sehend Auge hab ich zugeschlossen,

Mein überschwellend und empörtes Herz

Hab ich hinabgedrückt in meinen Busen.

Doch länger schweigen wär Verrat zugleich

An meinem Vaterland und an dem Kaiser.

BERTA wirft sich zwischen ihn und den Landvogt.

O Gott, Ihr reizt den Wütenden noch mehr.

RUDENZ.

Mein Volk verließ ich, meinen Blutsverwandten

Entsagt ich, alle Bande der Natur

Zerriß ich, um an Euch mich anzuschließen –

Das Beste aller glaubt ich zu befördern,

Da ich des Kaisers Macht befestigte –

Die Binde fällt von meinen Augen – Schaudernd

Seh ich an einen Abgrund mich geführt –

Mein freies Urteil habt Ihr irrgeleitet,

Mein redlich Herz verführt – Ich war daran,

Mein Volk in bester Meinung zu verderben.

GESSLER.

Verwegner, diese Sprache deinem Herrn?

RUDENZ.

Der Kaiser ist mein Herr, nicht Ihr – Frei bin ich

Wie Ihr geboren, und ich messe mich

Mit Euch in jeder ritterlichen Tugend.

Und stündet Ihr nicht hier in Kaisers Namen,

Den ich verehre, selbst wo man ihn schändet,

Den Handschuh wärf ich vor Euch hin, Ihr solltet

Nach ritterlichem Brauch mir Antwort geben.

– Ja, winkt nur Euren Reisigen – Ich stehe

Nicht wehrlos da, wie die –


Auf das Volk zeigend.


Ich hab ein Schwert,

Und wer mir naht –

STAUFFACHER ruft.

Der Apfel ist gefallen!


Indem sich alle nach dieser Seite gewendet und Berta zwischen Rudenz und den Landvogt sich geworfen, hat Tell den Pfeil abgedrückt.


RÖSSELMANN.

Der Knabe lebt![984]

VIELE STIMMEN.

Der Apfel ist getroffen!


Walter Fürst schwankt und droht zu sinken, Berta hält ihn.


GESSLER erstaunt.

Er hat geschossen? Wie? der Rasende!

BERTA.

Der Knabe lebt! kommt zu Euch, guter Vater!

WALTER TELL kommt mit dem Apfel gesprungen.

Vater, hier ist der Apfel – Wußt ichs ja,

Du würdest deinen Knaben nicht verletzen.


Tell stand mit vorgebognem Leib, als wollt er dem Pfeil folgen – die Armbrust entsinkt seiner Hand – wie er den Knaben kommen sieht, eilt er ihm mit

ausgebreiteten Armen entgegen und hebt ihn mit heftiger Inbrunst zu seinem Herzen hinauf, in dieser Stellung sinkt er kraftlos zusammen. Alle stehen gerührt.


BERTA.

O gütger Himmel!

WALTER FÜRST zu Vater und Sohn.

Kinder! meine Kinder!

STAUFFACHER.

Gott sei gelobt!

LEUTHOLD.

Das war ein Schuß! Davon

Wird man noch reden in den spätsten Zeiten.

RUDOLF DER HARRAS.

Erzählen wird man von dem Schützen Tell,

Solang die Berge stehn auf ihrem Grunde.


Reicht dem Landvogt den Apfel.


GESSLER.

Bei Gott, der Apfel mitten durchgeschossen!

Es war ein Meisterschuß, ich muß ihn loben.

RÖSSELMANN.

Der Schuß war gut, doch wehe dem, der ihn

Dazu getrieben, daß er Gott versuchte.

STAUFFACHER.

Kommt zu Euch, Tell, steht auf, Ihr habt Euch männlich

Gelöst, und frei könnt Ihr nach Hause gehen.

RÖSSELMANN.

Kommt, kommt und bringt der Mutter ihren Sohn.


Sie wollen ihn wegführen.


GESSLER.

Tell, höre!

TELL kommt zurück.

Was befehlt Ihr, Herr?

GESSLER.

Du stecktest

Noch einen zweiten Pfeil zu dir – Ja, ja,

Ich sah es wohl – Was meintest du damit?[985]

TELL verlegen.

Herr, das ist also bräuchlich bei den Schützen.

GESSLER.

Nein, Tell, die Antwort laß ich dir nicht gelten,

Es wird was anders wohl bedeutet haben.

Sag mir die Wahrheit frisch und fröhlich, Tell,

Was es auch sei, dein Leben sichr ich dir.

Wozu der zweite Pfeil?

TELL.

Wohlan, o Herr,

Weil Ihr mich meines Lebens habt gesichert,

So will ich Euch die Wahrheit gründlich sagen.


Er zieht den Pfeil aus dem Goller und sieht den Landvogt mit einem furchtbaren Blick an.


Mit diesem zweiten Pfeil durchschoß ich – Euch,

Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte,

Und Eurer – wahrlich! hätt ich nicht gefehlt.

GESSLER.

Wohl, Tell! Des Lebens hab ich dich gesichert,

Ich gab mein Ritterwort, das will ich halten –

Doch weil ich deinen bösen Sinn erkannt,

Will ich dich führen lassen und verwahren,

Wo weder Mond noch Sonne dich bescheint,

Damit ich sicher sei vor deinen Pfeilen.

Ergreift ihn, Knechte! Bindet ihn!


Tell wird gebunden.


STAUFFACHER.

Wie, Herr?

So könntet Ihr an einem Manne handeln,

An dem sich Gottes Hand sichtbar verkündigt?

GESSLER.

Laß sehn, ob sie ihn zweimal retten wird.

– Man bring ihn auf mein Schiff, ich folge nach

Sogleich, ich selbst will ihn nach Küßnacht führen.

RÖSSELMANN.

Ihr wollt ihn außer Lands gefangen führen?

LANDLEUTE.

Das dürft Ihr nicht, das darf der Kaiser nicht,

Das widerstreitet unsern Freiheitsbriefen!

GESSLER.

Wo sind sie? Hat der Kaiser sie bestätigt?

Er hat sie nicht bestätigt – Diese Gunst

Muß erst erworben werden durch Gehorsam.

Rebellen seid ihr alle gegen Kaisers

Gericht und nährt verwegene Empörung.

Ich kenn euch alle – ich durchschau euch ganz –

[986] Den nehm ich jetzt heraus aus eurer Mitte,

Doch alle seid ihr teilhaft seiner Schuld.

Wer klug ist, lerne schweigen und gehorchen.


Er enfernt sich, Berta, Rudenz, Harras und Knechte folgen, Frießhardt und Leuthold bleiben zurück.


WALTER FÜRST in heftigem Schmerz.

Es ist vorbei, er hats beschlossen, mich

Mit meinem ganzen Hause zu verderben!

STAUFFACHER zum Tell.

O warum mußtet Ihr den Wütrich reizen!

TELL.

Bezwinge sich, wer meinen Schmerz gefühlt!

STAUFFACHER.

O nun ist alles, alles hin! Mit Euch

Sind wir gefesselt alle und gebunden!

LANDLEUTE umringen den Tell.

Mit Euch geht unser letzter Trost dahin!

LEUTHOLD nähert sich.

Tell, es erbarmt mich – doch ich muß gehorchen.

TELL.

Lebt wohl!

WALTER TELL sich mit heftigem Schmerz an ihm schmiegend.

O Vater! Vater! Lieber Vater!

TELL hebt die Arme zum Himmel.

Dort droben ist dein Vater! den ruf an!

STAUFFACHER.

Tell, sag ich Eurem Weibe nichts von Euch?

TELL hebt den Knaben mit Inbrunst an seine Brust.

Der Knab ist unverletzt, mir wird Gott helfen.


Reißt sich schnell los und folgt den Waffenknechten.[987]


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 974-988.
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