Erste Szene


[988] Östliches Ufer des Vierwaldstättensees.

Die seltsam gestalteten schroffen Felsen im Westen schließen den Prospekt.

Der See ist bewegt, heftiges Rauschen und Tosen, dazwischen Blitze und Donnerschläge.

Kurz von Gersau. Fischer und Fischerknabe.


KUNZ.

Ich sahs mit Augen an, Ihr könnt mirs glauben,

's ist alles so geschehn, wie ich Euch sagte.

FISCHER.

Der Tell gefangen abgeführt nach Küßnacht,

Der beste Mann im Land, der bravste Arm,

Wenns einmal gelten sollte für die Freiheit.

KUNZ.

Der Landvogt führt ihn selbst den See herauf,

Sie waren eben dran sich einzuschiffen,

Als ich von Flüelen abfuhr, doch der Sturm,

Der eben jetzt im Anzug ist, und der

Auch mich gezwungen, eilends hier zu landen,

Mag ihre Abfahrt wohl verhindert haben.

FISCHER.

Der Tell in Fesseln, in des Vogts Gewalt!

O glaubt, er wird ihn tief genug vergraben,

Daß er des Tages Licht nicht wieder sieht!

Denn fürchten muß er die gerechte Rache

Des freien Mannes, den er schwer gereizt!

KUNZ.

Der Altlandammann auch, der edle Herr

Von Attinghausen, sagt man, lieg am Tode.

FISCHER.

So bricht der letzte Anker unsrer Hoffnung!

Der war es noch allein, der seine Stimme

Erheben durfte für des Volkes Rechte!

KUNZ.

Der Sturm nimmt überhand. Gehabt Euch wohl,

Ich nehme Herberg in dem Dorf, denn heut

Ist doch an keine Abfahrt mehr zu denken.


Geht ab.


FISCHER.

Der Tell gefangen und der Freiherr tot!

Erheb die freche Stirne, Tyrannei,

Wirf alle Scham hinweg, der Mund der Wahrheit[988]

Ist stumm, das sehnde Auge ist geblendet,

Der Arm, der retten sollte, ist gefesselt!

KNABE.

Es hagelt schwer, kommt in die Hütte, Vater,

Es ist nicht kommlich, hier im Freien hausen.

FISCHER.

Raset, ihr Winde, flammt herab, ihr Blitze,

Ihr Wolken berstet, gießt herunter, Ströme

Des Himmels und ersäuft das Land! Zerstört

Im Keim die ungeborenen Geschlechter!

Ihr wilden Elemente werdet Herr,

Ihr Bären kommt, ihr alten Wölfe wieder

Der großen Wüste, euch gehört das Land,

Wer wird hier leben wollen ohne Freiheit!

KNABE.

Hört, wie der Abgrund tost, der Wirbel brüllt,

So hats noch nie gerast in diesem Schlunde!

FISCHER.

Zu zielen auf des eignen Kindes Haupt,

Solches ward keinem Vater noch geboten!

Und die Natur soll nicht in wildem Grimm

Sich drob empören – O mich solls nicht wundern,

Wenn sich die Felsen bücken in den See,

Wenn jene Zacken, jene Eisestürme,

Die nie auftauten seit dem Schöpfungstag,

Von ihren hohen Kulmen niederschmelzen,

Wenn die Berge brechen, wenn die alten Klüfte

Einstürzen, eine zweite Sündflut alle

Wohnstätten der Lebendigen verschlingt!


Man hört läuten.


KNABE.

Hört Ihr, sie läuten droben auf dem Berg,

Gewiß hat man ein Schiff in Not gesehn,

Und zieht die Glocke, daß gebetet werde.


Steigt auf eine Anhöhe.


FISCHER.

Wehe dem Fahrzeug, das jetzt unterwegs,

In dieser furchtbarn Wiege wird gewiegt!

Hier ist das Steuer unnütz und der Steurer,

Der Sturm ist Meister, Wind und Welle spielen

Ball mit dem Menschen – Da ist nah und fern

Kein Busen, der ihm freundlich Schutz gewährte![989]

Handlos und schroff ansteigend starren ihm

Die Felsen, die unwirtlichen, entgegen,

Und weisen ihm nur ihre steinern schroffe Brust.

KNABE deutet links.

Vater, ein Schiff, es kommt von Flüelen her.

FISCHER.

Gott helf den armen Leuten! Wenn der Sturm

In dieser Wasserkluft sich erst verfangen,

Dann rast er um sich mit des Raubtiers Angst,

Das an des Gitters Eisenstäbe schlägt,

Die Pforte sucht er heulend sich vergebens,

Denn ringsum schränken ihn die Felsen ein,

Die himmelhoch den engen Paß vermauren.


Er steigt auf die Anhöhe.


KNABE.

Es ist das Herrenschiff von Uri, Vater,

Ich kenns am roten Dach und an der Fahne.

FISCHER.

Gerichte Gottes! Ja, er ist es selbst,

Der Landvogt, der da fährt – Dort schifft er hin,

Und führt im Schiffe sein Verbrechen mit!

Schnell hat der Arm des Rächers ihn gefunden,

Jetzt kennt er über sich den stärkern Herrn,

Diese Wellen geben nicht auf seine Stimme,

Diese Felsen bücken ihre Häupter nicht

Vor seinem Hute – Knabe, bete nicht,

Greif nicht dem Richter in den Arm!

KNABE.

Ich bete für den Landvogt nicht – Ich bete

Für den Tell, der auf dem Schiff sich mit befindet.

FISCHER.

O Unvernunft des blinden Elements!

Mußt du, um einen Schuldigen zu treffen,

Das Schiff mitsamt dem Steuermann verderben!

KNABE.

Sieh, sieh, sie waren glücklich schon vorbei

Am Buggisgrat, doch die Gewalt des Sturms,

Der von dem Teufelsmünster widerprallt,

Wirft sie zum großen Axenberg zurück.

– Ich seh sie nicht mehr.

FISCHER.

Dort ist das Hakmesser,

Wo schon der Schiffe mehrere gebrochen.[990]

Wenn sie nicht weislich dort vorüberlenken,

So wird das Schiff zerschmettert an der Fluh,

Die sich gähstotzig absenkt in die Tiefe.

– Sie haben einen guten Steuermann

Am Bord, könnt einer retten, wärs der Tell,

Doch dem sind Arm und Hände ja gefesselt.


Wilhelm Tell mit der Armbrust. Er kommt mit raschen Schritten, blickt erstaunt umher und zeigt die heftigste Bewegung. Wenn er mitten auf der Szene ist, wirft er sich nieder, die Hände zu der Erde und dann zum Himmel ausbreitend.


KNABE bemerkt ihn.

Sieh, Vater, wer der Mann ist, der dort kniet?

FISCHER.

Er faßt die Erde an mit seinen Händen,

Und scheint wie außer sich zu sein.

KNABE kommt vorwärts.

Was seh ich! Vater! Vater, kommt und seht!

FISCHER nähert sich.

Wer ist es? – Gott im Himmel! Was! der Tell?

Wie kommt Ihr hieher? Redet!

KNABE.

Wart Ihr nicht

Dort auf dem Schiff gefangen und gebunden?

FISCHER.

Ihr wurdet nicht nach Küßnacht abgeführt?

TELL steht auf.

Ich bin befreit.

FISCHER UND KNABE.

Befreit! O Wunder Gottes!

KNABE.

Wo kommt Ihr her?

TELL.

Dort aus dem Schiffe.

FISCHER.

Was?

KNABE zugleich.

Wo ist der Landvogt?

TELL.

Auf den Wellen treibt er.

FISCHER.

Ists möglich? Aber Ihr? Wie seid Ihr hier?

Seid Euren Banden und dem Sturm entkommen?

TELL.

Durch Gottes gnädge Fürsehung – Hört an!

FISCHER UND KNABE.

O redet, redet!

TELL.

Was in Altorf sich

Begeben, wißt Ihrs?

FISCHER.

Alles weiß ich, redet![991]

TELL.

Daß mich der Landvogt fahren ließ und binden,

Nach seiner Burg zu Küßnacht wollte führen.

FISCHER.

Und sich mit Euch zu Flüelen eingeschifft!

Wir wissen alles, sprecht, wie Ihr entkommen?

TELL.

Ich lag im Schiff, mit Stricken fest gebunden,

Wehrlos, ein aufgegebner Mann – nicht hofft ich,

Das frohe Licht der Sonne mehr zu sehn,

Der Gattin und der Kinder liebes Antlitz,

Und trostlos blickt ich in die Wasserwüste –

FISCHER.

O armer Mann!

TELL.

So fuhren wir dahin,

Der Vogt, Rudolf der Harras und die Knechte.

Mein Köcher aber mit der Armbrust lag

Am hintern Gransen bei dem Steuerruder.

Und als wir an die Ecke jetzt gelangt

Beim kleinen Axen, da verhängt' es Gott,

Daß solch ein grausam mördrisch Ungewitter

Gählings herfürbrach aus des Gotthards Schlünden,

Daß allen Ruderern das Herz entsank,

Und meinten alle, elend zu ertrinken.

Da hört ichs, wie der Diener einer sich

Zum Landvogt wendet' und die Worte sprach:

Ihr sehet Eure Not und unsre, Herr,

Und daß wir all am Rand des Todes schweben –

Die Steuerleute aber wissen sich

Für großer Furcht nicht Rat und sind des Fahrens

Nicht wohl berichtet – Nun aber ist der Tell

Ein starker Mann und weiß ein Schiff zu steuern,

Wie, wenn wir sein jetzt brauchten in der Not?

Da sprach der Vogt zu mir: Tell, wenn du dirs

Getrautest, uns zu helfen aus dem Sturm,

So möcht ich dich der Bande wohl entledgen.

Ich aber sprach: Ja, Herr, mit Gottes Hülfe

Getrau ich mirs, und helf uns wohl hiedannen.

So ward ich meiner Bande los und stand

Am Steuerruder und fuhr redlich hin.[992]

Doch schielt ich seitwärts, wo mein Schießzeug lag,

Und an dem Ufer merkt ich scharf umher,

Wo sich ein Vorteil auftät zum Entspringen.

Und wie ich eines Felsenriffs gewahre,

Das abgeplattet vorsprang in den See –

FISCHER.

Ich kenns, es ist am Fuß des großen Axen,

Doch nicht für möglich acht ichs – so gar steil

Gehts an – vom Schiff es springend abzureichen –

TELL.

Schrie ich den Knechten, handlich zuzugehn,

Bis daß wir vor die Felsenplatte kämen,

Dort, rief ich, sei das Ärgste überstanden –

Und als wir sie frischrudernd bald erreicht,

Fleh ich die Gnade Gottes an, und drücke,

Mit allen Leibeskräften angestemmt,

Den hintern Gransen an die Felswand hin –

Jetzt schnell mein Schießzeug fassend, schwing ich selbst

Hochspringend auf die Platte mich hinauf,

Und mit gewaltgem Fußstoß hinter mich

Schleudr ich das Schifflein in den Schlund der Wasser –

Dort mags, wie Gott will, auf den Wellen treiben!

So bin ich hier, gerettet aus des Sturms

Gewalt und aus der schlimmeren der Menschen.

FISCHER.

Tell, Tell, ein sichtbar Wunder hat der Herr

An Euch getan, kaum glaub ichs meinen Sinnen –

Doch saget! Wo gedenket Ihr jetzt hin,

Denn Sicherheit ist nicht für Euch, wofern

Der Landvogt lebend diesem Sturm entkommt.

TELL.

Ich hört ihn sagen, da ich noch im Schiff

Gebunden lag, er woll bei Brunnen landen,

Und über Schwyz nach seiner Burg mich führen.

FISCHER.

Will er den Weg dahin zu Lande nehmen?

TELL.

Er denkts.

FISCHER.

O so verbergt Euch ohne Säumen,

Nicht zweimal hilft Euch Gott aus seiner Hand.

TELL.

Nennt mir den nächsten Weg nach Arth und Küßnacht.

FISCHER.

Die offne Straße zieht sich über Steinen,[993]

Doch einen kürzern Weg und heimlichern

Kann Euch mein Knabe über Lowerz führen.

TELL gibt ihm die Hand.

Gott lohn Euch Eure Guttat. Lebet wohl.


Geht und kehrt wieder um.


– Habt Ihr nicht auch im Rütli mitgeschworen?

Mir deucht, man nannt Euch mir –

FISCHER.

Ich war dabei,

Und hab den Eid des Bundes mit beschworen.

TELL.

So eilt nach Bürglen, tut die Lieb mir an,

Mein Weib verzagt um mich, verkündet ihr,

Daß ich gerettet sei und wohl geborgen.

FISCHER.

Doch wohin sag ich ihr, daß Ihr geflohn?

TELL.

Ihr werdet meinen Schwäher bei ihr finden

Und andre, die im Rütli mitgeschworen –

Sie sollen wacker sein und gutes Muts,

Der Tell sei frei und seines Armes mächtig,

Bald werden sie ein Weitres von mir hören.

FISCHER.

Was habt Ihr im Gemüt? Entdeckt mirs frei.

TELL.

Ist es getan, wirds auch zur Rede kommen.


Geht ab.


FISCHER.

Zeig ihm den Weg, Jenni – Gott steh ihm bei!

Er führts zum Ziel, was er auch unternommen.


Geht ab.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 988-994.
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