Ich werde sterblich verliebt

[157] Die Nacht bei meiner Schönen im Dunkeln hatte meine ganze Heiterkeit wieder hergestellt, nur daß ich bisweilen unzufrieden war, daß ich gar nichts mehr von ihr hörte und alle Abende vergebens vor dem Hause vorbeimarschierte. Ich erkundigte mich oft, wer da wohne, um wenigstens den Namen meiner Donna zu erfahren; allein ich ward nie um ein Haar klüger, denn es wohnten drei alte Männer in dem Hause, die alle junge Weiber haben sollten. So war es denn des Hauses Bestimmung, junge Weiber zu quälen.[157]

Wahrlich, man beklagt die armen Nonnen, die sich in ihrem Feuer aufzehren müssen, allein junge Weiber an der Seite alter, ohnmächtiger Männer sind noch weit mehr zu beklagen.

Ich fuhr eines Tages ganz allein auf ein benachbartes Dorf, das gewöhnlich sehr wenig besucht wurde. Dort traf ich eine Gesellschaft alter Matronen und Herren beim Kaffee an. Gute Gesellschaft, dachte ich, um alle Munterkeit zu verlieren; setzte mich ganz verdrießlich an einen anderen Tisch und forderte Schokolade.

Indem trat ein Frauenzimmer zur Tür herein, in einem hellgrünen Amazonenhabit. Wie Feuer durchfuhr mich der Anblick. Sie gehörte zur Gesellschaft, ich hörte sie Frau Tochter nennen.

Ein Bild von ihr: Gewachsen wie eine Zeder, mehr groß als mittlerer Satur, eine hohe Brust, ein voller Busen, ein weißer, runder Hals, rundes Kinn mit einem Grübchen, das Gesicht mehr rund als oval, frische Rosenwangen, leicht aufgeworfene Lippen, eine feine Nase, dunkelblaue Augen, feine, schneeweiße Haut und schönes, starkes, aschblondes Haar, in einer für ihren schönen Wuchs sehr vorteilhaften Kleidung, ein runder, schwarzer Hut warf sanften Schatten auf das Engelsgesicht.

Ich ward zur Salzsäule.

Wie kann ich sie, wie soll ich sie sprechen? – Ich muß sie sprechen! So schön! – Nie sah ich etwas. Schöneres! –

Tausenderlei Entwürfe durchkreuzten mein Gehirn. Ich durfte nicht nach ihr blicken, wenn mir nicht das Gesicht vergehen sollte.[158]

Und wie mache ich mich mit der Gesellschaft bekannt?

Wem das Glück wohl will, darf es nur mit Geduld abwarten. Alle meine Überlegungen hatte ich nicht nötig gehabt.

Einer von den Alten trat zu mir.

»Um Vergebung, mein Herr, man sagt mir, ihr Name sei v. H.«

»Man hat Ihnen keine Unwahrheit gesagt.«

»Sie verzeihen meine Freiheit; also ein Sohn von dem alten ... v. H.«

»Ganz recht!«

»Nun, das vergebe ich aber Ihrem Herrn Vater nicht; ich habe in meinem Leben so viel mit ihm zu tun gehabt, und er gibt mir keine Gelegenheit, seinen Herrn Sohn kennenzulernen. Sie sind jederzeit in meinem Hause willkommen, Herr v. H.«

Und damit nahm er mich bei der Hand, stellte mich der übrigen Gesellschaft vor und der Engel war seine Tochter und – ein alter krummrückiger Kerl, dem man ins Ohr rufen mußte, war – ihr Mann. Ich hätte den Vater peitschen mögen, daß er sein Kind so verschleudert hatte.

Ich suchte dauernd Gelegenheit, mit ihr zu sprechen, und zu meinem Entzücken bemerkte ich, daß es ihr nicht unangenehm war.

Wir standen am Fenster, ich drückte ihre Hand und sanft erwiderte sie es.

Ich war wie neu geboren und erzählte meinem Balthasar so viel, wie ich nach Hause kam, daß er mich[161] recht freundlich bat, aufzuhören, da am Ende nichts unerträglicher wäre, als das Gespräch eines so Verliebten, weil er sich beständig wiederhole.

Quelle:
Gustav Schilling: Die Denkwürdigkeiten des Herrn v. H., Paris 1966, S. 157-159,161-162.
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