Ein Wörtchen von mir

[15] Man sagt, daß die meisten Kinder, die einer zufälligen Umarmung, wo der erste Anblick die Leidenschaft in höherem Grad entflammte, ihr Dasein zu danken haben, flüchtigeres Blut, zartere und reizbarere Nerven hätten, daß sie empfänglicher für alle Eindrücke und – was weiß ich, was sie alles mehr sein und haben sollen, als die Kinder einer Umarmung, zu der der Mann so bedächtig und zu bestimmter Zeit schreitet, wie der alte Tristam Schandy, der den Sonnabend[15] dazu angesetzt hatte, an dem er allemal die Wanduhr aufzog, um durch eins oder das andere an eins oder das andere erinnert zu werden.

Wie dem nun sei, so muß ich sagen, daß mir meine gute Dosis Leidenschaft, der ich meine Existenz schuldig bin, zuteil geworden ist. Früh schon fühlte ich ein Feuer in meinen Adern und eine Unruhe in meiner Brust, die mir manche unbehagliche Stunde machten. Gern bespiegelte ich mich in den Augen eines jungen Mädchens, nahm es noch lieber bei der Hand, und hatte ich Gelegenheit, ihre Wangen oder gar ihren Mund zu küssen, so versäumte ich das noch weniger. Das geschwindere Klopfen meines Herzens, die Enge meiner Brust, das Aufschwellen aller meiner Muskel, das Erschüttern in allen meinen Gliedern war mir eine gar zu angenehme Empfindung, als daß ich die kleinste Gelegenkeit hätte vernachlässigen sollen, die sie mir erregen konnte.

Ich war ohne Aufseher, ohne mürrischen Hofmeister; meine gute Figur, mein munteres, flüchtiges, schmeichelndes und einnehmendes Wesen, wie sollte ich also nicht oft dazu Gelegenheit finden?

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Gustav Schilling: Die Denkwürdigkeiten des Herrn v. H., Paris 1966, S. 15-16.
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