Der Schauplatz verändert sich

[95] Dem Befehle meines Vater zufolge brachte ich meine Sachen in Ordnung, nahm zärtlichen Abschied von Madame Reibhand, Lieschen war nicht mehr da, und reiste ab.

Ich trat eben in mein einundzwanzigstes Lebensjahr.

»Wähle nun, mein Sohn«, sagte mein Vater zu mir. »Dreierlei lege ich dir vor: Willst du Soldat werden, so habe ich dafür gesorgt, daß du mit der Wahl auch Offizier wirst; willst du studieren, so habe ich auch nichts dagegen, nur ist die Frage, was du auf der Schule für einen Grund gelegt hast; oder willst du dein Leben als Landjunker beschließen, so passen dazu auch meine Verfügungen, die ich getroffen.«

»Ich wähle das erstere, gnädiger Herr« –

»Nenne mich Vater.«

»Wenn es bei mir steht, mein Vater, so wähle ich den Degen; nur möchte ich doch auch gern einige Jahre die Universität beziehen, um da Kenntnisse zu sammeln, daß ich auf diese und jene Art meinem Stande Ehre mache. Ich könnte auch das Studium wählen und wollte auch da nicht zurückbleiben, so wie ich bis jetzt[95] nicht einen mir leicht vorgelassen habe, und dann wären einige Jahre zu reisen so recht nach meinem Wunsche.«

»Lieber Karl, deine Antwort freut mich von ganzer Seele, und ich bekenne dir offenherzig, daß ich sie so bestimmt nicht erwartet habe. Die guten Zeugnisse deiner Lehrer waren also nicht bloß Bettelbriefe, wofür ich sie meistens angesehen habe.

Wähle nach deinem Gefallen, ich will dir alles sagen, was du für die Zukunft zu erwarten hast. Noch zwei Jahre, so bin ich sechzig Jahre alt. Ich werde für den reichsten Edelmann gehalten und bin es auch gewesen; allein, meine Art zu leben nach einem ausgedachten und ausgeführten Plan, worüber ich nicht die geringste Reue spüre, hat bewirkt, daß ich nicht mehr bin, was ich war.

Ich bin nun so alt, daß sehr vieles, was mir bisher Freude und Vergnügen machte, keinen Reiz mehr für mich hat, und andere Dinge heitern jetzt meine Seele auf, bei denen ich sonst unempfindlich war.

Meine Güter sind verschuldet, und ich würde der Mann nicht sein, der ich doch wirklich bin, wenn ich nicht noch zu rechter Zeit meine Sache ins reine bringen wollte.

Du bist mein Sohn, es wäre ungerecht, wenn ich nicht besonders dabei an dich gedacht hätte.

Höre also, lieber Freund, meinen Plan, der schon seiner Ausführung nahe ist. Ich habe meine besten Güter verkauft, damit werden alle meine Gläubiger befriedigt, V., W., G. und H. sind auf Leibrenten verkauft, ich bekomme jährlich fünf zehntausend Taler auf meine Lebenszeit. Meine jährliche Dienerschaft entlaß[96] ich mit doppeltem Gehalt und behalte niemand als meinen alten treuen Jäger und meine Lilla. In L. werde ich wohnen, das Gütchen liegt einsam und still, und fällt dir auch nach meinem Tode zu. Dir aber gehört von heute an Blassenheim, weil ich bemerkt habe, daß es dir von jeher gefiel, und das kleine einsame Dunkel. Du hast also von nun an ein jährliches Einkommen von zwölftausend Talern, und findest du treue und redliche Leute, so kann sich's vielleicht erhöhen.«

Ich fiel meinem Vater um den Hals, weinte und bat, alles zurückzunehmen; ich wollte gern alle meine Wünsche aufgeben, Soldat werden und mich mit meinem Traktament behelfen, nur sollte er nicht seine gewohnte Lebensart aufgeben, und sollte auch nach vielen Jahren, die ich ihm noch zu leben wünschte, nichts übrig bleiben, so wäre es mir genug, sein Sohn zu heißen.

»Guter Karl«, fuhr er mit tränenden Augen fort, »ich freue mich, daß ich mich nicht geirrt habe, um so mehr bleibt meine Verfügung unabänderlich. Ich will mich in Blassenheim auch aufhalten und werde mich freuen, wenn ich dich oft sehe. Alles, um was ich dich bitte: sei ein ehrlicher und redlicher Mann und versage niemandem deine Hilfe, wenn du kannst und siehst, daß er es verdient. Das ist alles, was ich dir als Vater sage. Übrigens lebe nach deinen Begriffen und Vorstellungen, ich werde dich über nichts mehr zur Rede stellen. Morgen gehst du nach Blassenheim und machst Anstalten, übermorgen mich und sechs bis acht Gäste zu empfangen. Ich werde dich deinen Untertanen vorstellen und sie dir überliefern.«

Quelle:
Gustav Schilling: Die Denkwürdigkeiten des Herrn v. H., Paris 1966, S. 95-97.
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