6.

Magdalena

[309] In unbewahrter Jugend frischer Blüthe

Riß Magdalenen ihre Schönheit hin;

Den edlen Geist berückt' ein weicher Sinn,

Daß sie in ungeweihten Flammen glühte.


Sie hört den Heiland, und die ernste Güte,

Die aus ihm spricht, wird ihres Heils Beginn.

Zu seinen Füßen sinkt die Sünderin,

Mit tiefzerrißnem schmachtendem Gemüthe.


Entblößt vom Schmucke liebt sie nun, allein,

Den Arm gelehnt an blaß geweinte Wangen,

Betrachtungen der Buße nachzuhangen.


Ja, fromme Huldin! flieh in Wüstenei'n,

Verbirg der Welt den Anblick deiner Schmerzen:

Denn sonst bethört noch deine Reu die Herzen.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 309-310.
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