Sechste Szene.


[71] Ein Zimmer der Infantin.


SOLISA allein.

Du bleicher Mond, der von dem hohen Himmel

Allein mein einsam Leiden

Mitleidig weinend anzuschauen würdigt!

O sei mir freundlich, kühle diese Flammen,

Die innerlich das heiße Blut entzünden,

Daß ich die Arme glutverlangend öffne

Nach dem, der treulos meiner Glut vergessen,

Mein Diadem verschmähte,

Ein tugendbleiches Kind mir vorgezogen,

Statt königlich die Fürstenbraut zu wählen,

Und stolz in meinem Sonnenglanz zu strahlen,

Von Lust und Glorie trunken,

An diese Brust zu sinken,

Die ihn nur fühlt, und strebt mit heißen Schlägen[71]

Ihn zu umschlingen, liebend zu umfangen,

Umarmt an ihm zu hangen,

Die Seele von den Lippen ihm zu trinken,

In Glut gebadet, immer neu zu fühlen

Das brennende Verlangen.


Du himmlisch freundlich milde Kraft des Mondes!

O träufle kühle Lind'rung

Nur einen Tropfen, einen einz'gen Tropfen,

In dieses Meer von Glut und Scham und Liebe,

Das mir die volle Brust bedrängend schwellt!

O wehe kühl und freundlich

An diese Stirne, Wangen, Lippen, Augen,

Die so von Scham und Unmut schmerzlich brennen,

Daß keine Worte solche Schmerzen nennen!

Wenn lang umsonst sich ausgestreckt die Arme,

Das Herz umsonst so glühend hat geschlagen;

So kann die Kraft es länger nicht ertragen,

Dann stockt der Busen plötzlich,

Und Todeskälte schleicht durch alle Glieder,

Das wilde Feuer drängt sich in die Wangen,

Um schamrot meine Schmach mir zu verkünden.

So hält der Schmerz mich inniglich gebunden,

Zerstört den stolzen Tempel meiner Schönheit!

Doch du bist bleich und kalt;

Wie konnt' ich Glüh'nde meine Glut dir klagen?

Es gleicht dein kranker Schein

Der stillen Todeslampe

Viel eher als der mut'gen Hochzeitfackel.

Vielleicht daß oft dein Blick uns Unheil sendet,

Du eben jetzt das Opfer schon erwartest,

Das heimlich deinem Neide fallen soll.

O wenn es doch die Gräfin wäre, daß sie

Noch heute diese Nacht, so bleich wie du,

Im weißen Leichentuche vor mir läge!

Quelle:
Friedrich von Schlegel: Ausgewählte Werke. Berlin 1922, S. 71-72.
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