Zweyter Auftritt.


[178] Gunilde, Estrithe.


GUNILDE.

Der König wußte schon, daß du hier angekommen.

Des Ulfo Wiederkehr hat ihm das Herz genommen.

Canut ist immer noch der Held voll Gütigkeit,

Der nur aus Zwange zürnt, aus Neigung stets verzeiht.

Er wird von seiner Huld dich itzt versichern lassen,

Und zeigen, wie bereit er sey, dich zu umfassen.

ESTRITHE.

Ach! wär ich wiederum in Wäldern tief versteckt,

Vom Mangel unterdrückt und von Gefahr erschreckt!

GUNILDE.

Was hör ich? ist dein Herz denn unaufhörlich bange?

ESTRITHE.

Wie kann es ruhig seyn, da ich doch nichts erlange?

GUNILDE.

Du seufzest, da Canut sich so versöhnlich zeigt?

ESTRITHE.

Wenn er sich beugen läßt, ist Ulfo drum gebeugt?[178]

GUNILDE.

Die Gnade beut sich an, und er will sie nicht nehmen?

ESTRITHE.

Er meynt, ein edler Geist muß sich zu bitten schämen.

GUNILDE.

Und dieser edle Geist hat dieß nicht eh bedacht?

Ist dieß der Augenblick, da erst sein Stolz erwacht?

Ihn, da er hergeeilt und vor des Thrones Stuffen

Itzt niederfallen soll, zu späth zurückzuruffen?

In Norden, wo er noch entfernt von der Gefahr,

Verachtet vom Canut und selbst sein König war;

Wo ihn kein andrer Feind als Frost und Mangel drükte,

Da war es Zeit zu sehn, ob Flehn sich für ihn schickte;

Da stund ihm noch die Wahl von seinem Schicksal frey,

Ob Elend reitzender als der Gehorsam sey.

Doch hier, wo man den Trutz kann durch ein Wort bezähmen,

Hier darf, wer strafbar ist, sich nicht zu bitten schämen.

ESTRITHE.

Ich fürchte, dieser Stolz ist nicht erst itzt erwacht?

Ach! nichts als dieser Stolz hat ihn hieher gebracht.

Indeß daß ich geglaubt, er höre mein Verlangen,

Gunilde, so hat mich der Falsche hintergangen.

Du weißt, wie oft ich ihm mit Thränen zugesetzt,

Wie ich ihm vorgestellt, daß er die Pflicht verletzt.

Wie deutlich zeigt ich ihm des Stolzes Folgerungen,

Dadurch er statt des Ruhms nur Schand und Noth errungen,

Sein wüster Aufenthalt, sein Heer, daß ihn verließ,

Bezeugten, daß ich ihm nichts als die Wahrheit wies,

Ich rieth ihm, wiederum zu seiner Pflicht zu kehren.

Wievielmal bath ich ihn! Zuletzt schien er zu hören.

Der Falsche billigte den Rath, den ich ihm gab;

Er trocknete mir selbst die nassen Wangen ab.

Er sprach: Wahr ists, wer wird mich hier in Wäldern preisen?

Hier ist kein Ruhm für mich, wohlan denn! ich will reisen.

Doch itzo, da mich schon die edle Freude rührt,

Daß ich ein tapfres Herz zur Pflicht zurück geführt:

Kömmt der Verräther, mir die Bosheit zu entdecken,

Sein Zweck sey, dem Canut hier Feinde zu erwecken.

GUNILDE.

O Himmel! und du selbst hilfst seiner Frevelthat,

Und da du für ihn flehst, beschönst du den Verrath.

ESTRITHE.

Wie grausam martert mich der Streit von meinen Pflichten,

Von welcher geh ich ab? wornach soll ich mich richten?

Gilt hier der Liebe Recht? gilt hier die Schwestertreu?

Ich red, ich schweige still; so ists Verrätherey.

GUNILDE.

Das heiligste Gesetz ist stets des Königs Leben.

ESTRITHE.

Er hat mir den Gemahl, der es verfolgt, gegeben.[179]

Er selber schickte mir den Undankbaren zu,

Und schrieb mir den Befehl: Was Ulfo sagt, das thu.

Es mußte Godewin, der erst mein Herz besessen,

Von mir vergessen seyn; Ich hab ihn auch vergessen.

Mein Ehgemahl zu seyn ward Ulfo werthgeschätzt;

Drum hab ich meine Ruh, ja mich ihm nachgesetzt.

Es war des Königs Wink, den Ulfo mir entdecket;

Ich ehrte diesen Wink: Drum hab ich ihn vollstrecket.

Wie meynst du, daß Canut nun von mir fordern darf,

Die Pflicht zu hintergehn, der er mich unterwarf,

Und aus strafbarem Haß für Ulfons Uebelthaten,

Ihn, dem ich meine Treu geheiligt, zu verrathen?

GUNILDE.

Erhalt den Ulfo denn, und stürze den Canut,

Erkauff dir den Gemahl durch deines Bruders Blut.

Dein Schweigen wirst du selbst in kurzer Zeit verfluchen.

ESTRITHE.

Was ich verschweigen muß, kann ich zu hindern suchen.

Ach! wüßt ich, daß der Grund von Ulfons Raserey

Nichts als ein blöder Stolz, der ungern bittet, sey,

Der lieber alles wagt, eh er sich strafbar nennet,

Und eh die Fehler häufft, als ein Vergehn bekennet.

Wie gern befreyt ich ihn, und trüg an seiner statt

Die Schuld, in die mein Herz doch nie gewilligt hat.

Ich wollte dem Canut mich selbst zu Füssen werfen,

Ihn bitten, seinen Zorn auf mich allein zu schärfen,

Und sagen, daß von mir des Ulfo Trutz gerührt,

Daß ihn mein Stolz verhetzt, daß ihn mein Rath verführt.

Um ihn vor wahrer Schmach auf künftig zu verwahren,

Will ich ihm itzt den Schimpf zu bitten gern ersparen,

Nur mich erniedrigen nun ihn verschont zu sehn,

Und da ich nichts gethan, doch um Vergebung flehn.

GUNILDE.

Ach! daß die Zärtlichkeit, die deine Brust entzündet,

In Ulfons Herzen doch nicht gleiche Regung findet!

ESTRITHE.

Geh, daß er meinen Schluß, weil Rettung ist, erfährt,

Eh seine Raserey sich aller Welt erklärt.

Sprich, will er nur nicht selbst der Straf entgegen lauffen,

Er braucht die Gnade nicht durch Bitten zu erkauften,

Sein Fehl soll unerwähnt und ungeschehen seyn:

Ja! man erspart ihm auch den Schimpf ihn zu verzeihn.

Er sage dem Canut: Nur mein sey das Verbrechen.

Mich schimpft das Bitten nicht: Ich will mich schuldig sprechen.

Geh! eile, sag ihm dieß. Wer kömmt hier? Godewin!

O Himmel! soll ich wohl ihn sprechen oder fliehn?


Quelle:
Johann Elias Schlegel: Ausgewählte Werke. Weimar 1963, S. 178-180.
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