Das 55. Capitel.
Eine Weibs-Person soll niemanden anders an ihrem Schürtz-Tuche lassen die Hände abwischen / jenes wird ihr sonst gram.

[273] Ein Exempel weiß ich zwar selbst, daß es würcklich eingetroffen, wiewohl die Umstände auch darnach beschaffen waren, dahero dieses das Fürgeben keinesweges universal macht; sondern ich halte vielmehr davor, daß, wenn manchem diese Gelegenheit also zuhanden gestossen wäre, als wie dem, von welchem ich ietzo melden will, nicht eine Feindschafft, sondern vielmehr eine geile Liebe dadurch würde seyn erreget worden. Die Sache aber ergieng folgendergestalt: In einer grossen Stadt hatte ein reputirlicher Kauffmann eine, dem Ansehen nach, feine Magd gemiethet, und nicht lange in seinen Diensten gehabt; in dieser kurtzen Zeit führete sich die Magd also auf, und verrichtete ihre Arbeit hurtig und wohl / daß ihr der Herr deswegen ein gutes Lob gab, und ihr gar gewogen war. Es trug sich aber[273] zu, daß dieser Kauffmann iemanden etliche Centner Kreyde abwiegen muste, und in Abwesenheit des Jungens die Magd mit ins Gewölbe nahm, ihm einige Handreichung zu thun. Endlich, wie die Arbeit verrichtet war, sahe sich der Kauffmann nach einem Tuche um / seine Hände daran wiederum abzuwischen; weil aber keines zugegen war, offerirte die dienstfertige Magd ihrem Herrn ihr Schürtz-Tuch; da aber der erbare Mann solches ein wenig auf die Seite zog, und gewahr wurde, daß ihr der Rock und auch das Hembde dermassen weit aufgeschlitzt war, wodurch er einen solchen Ort erblickte, den die Erbarkeit zu verdecken befiehlet, dahero machte er sich Gedancken, ob hätte die Magd solches mit Fleiß gethan /ihn zu einer verbotenen Liebe damit anzureitzen. Weil er aber ein Mann war, welcher viel auf reputation und respect hielte, wurde er der Magd von Stund an so Spinnen-feind, daß er sie kaum mehr ansehen kunte, und schaffete sie wieder fort. Dieses ist nun zwar ein Exempel / wodurch man den ietzt vorhabenden Punct möchte beschönigen wollen; alleine, wenn ich diese Umstände etwas genau beobachte / so erhellet so viel daraus / daß das Abwischen der Hände schwerlich etwas zur Feindschafft würde contribuiret haben, wenn nicht vielmehr der garstige Anblick des darunter verborgenen Orts solches verursachet hätte. Behält derohalben dieser Glaubens-Punct seine Stelle wohl unter denen Aberglauben.
[274]

Die Magd hielt ohne Zweifel nichts auf diesen Aberglauben,

Dennoch must sie des Herren Gunst sich hierdurch lassen rauben,

Es sey nun aber, wie ihm sey, so wird ein jeder sehen,

Daß dem nach dieser Glaubens-Grund mit nichten kan bestehen.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 273-275.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die gestriegelte Rocken-Philosophie
Die gestriegelte Rocken-Philosophie
Die gestriegelte Rocken - Philosophie