Das 76. Capitel.
Wer von der Mahlzeit gehet / soll das Brodt / davon er gegessen hat / nicht lassen liegen; denn wenn es ein anderer über einen Galgen wirfft / so kan der / der davon gegessen hat / dem Galgen nicht entgehen.

[314] Wenn dieses verteufelte Vorgeben nicht so gar bekannt wäre, würde ich Bedencken getragen haben, es mit in die Zahl anderer abergläubischen Laster so öffentlich zu setzen; sintemahl kaum etwas grausamers mag erdacht werden können, als dieses verfluchte Unternehmen. Wiewohl ich nun zwar gäntzlich zweifele, daß es also erfolge, wie vorgegeben wird; so wird sich doch einer auch kaum einbilden können, daß / ob es auch gleich eintreffen solte, sich auch unter Christen-Menschen einer finden möchte, der diese Kunst und verfluchtes Unternehmen zu practiciren sich unterstehen werde, weil es ein Beginnen ist, das kein ander Mensch sich unterfangen wird, als der sich mit Leib und Seele dem Teufel ergeben, und in seinem Reich zu dienen versprochen hätte; ja ich achte davor, daß ein solcher Bösewicht so durchteufelt seyn müste, daß er nicht einmahl ins Reich GOttes verlangen noch begehren könne. Allein ich setze dem Fall, daß dieses Teufels-Werck wahr sey, und sich auch solche verfluchte Creaturen unter denen Menschen befänden, die es ins Werck setzten, so ist ja keinem rechtschaffenen Christen unbekannt,[315] daß GOtt seine gläubigen Kinder vor allen Stricken des Teufels und seiner Diener mächtig beschützet und behütet, ja des Teufels Anschläge so zu nichte machet, daß er unter tausenden nicht eines, ohne GOttes Verhängniß, auszuführen vermag. Ergo, so kan auch ein von des Teufels Werckzeug über einem Galgen geworffenes Bißgen Brodt nicht würcken, daß der, welcher vorher davon gegessen hat, müsse unumgänglich an Galgen kommen. Wer an Galgen gehenckt wird, der muß es verdienet haben, (denn ohne Ursach wird keiner gehenckt /) so es einer aber verdienet hat, so ist ja er selbst Schuld daran, und nicht das Brodt, ob es auch gleich hundert mahl wäre übern Galgen geworffen worden. Ist demnach erstlich an der Sache nichts wahr. Zum andern habe ich noch von keinem eintzigen Exempel gehöret, daß eines wäre unumgänglich, aus erwehnter Ursach, dem Galgen zu Theile worden. Drittens ist bekannt, daß täglich viel tausend vornehme Herren und Standes-Personen, bey denen Mahlzeiten und Gastereyen, ohne einig Bedencken, ihr Brodt liegen lassen / ohne sich des Galgens deswegen zu befahren. Wenn demnach etwas an der Sache wäre, so würden sich weder Könige noch Fürsten und andere grosse Herren schämen, ihr übergeblieben Brodt nach der Mahlzeit zu sich zu stecken, weil doch bekannter massen solche grosse Herren viel tausend mahl mehr gewaltge Feinde, die ihnen mit Gifft und andern Dingen nach Leib und Leben stehen, haben, als eine gemeine privat-Person.[316] Dannenhero ist aus diesem allen zu schliessen, daß an der gantzen Sache nichts wahr seyn muß.


Hüt' dich für der Dieberey, und für andern Buben-Stücken,

So bleibst du gewißlich frey von den bösen Galgen-Stricken.

Nichts kan dir was Schaden thun, als was GOtt beschlossen hat.

Drum halt du dich nur an ihm, und trau seinem Schutz und Rath!

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 314-317.
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