Das 87. Capitel.
Eine schwangere Frau soll unter keiner Wagen-Deichsel hinkriechen / sie muß sonst über die gewöhnliche Zeit schwanger gehen.

[340] Ich will nicht in Abrede seyn, daß ein schwanger Weib, (sonderlich von zarter Art,) durch das Niederbücken und Durchkriechen unter einer Wagen-Deichsel, sich solle einigen Schaden zufügen können. Denn es ist bekannt genug, wiewohl sich schwangere Weiber in Acht zu nehmen haben / daß sie sich und ihrer Leibes-Frucht keinen Schaden thun. Daß aber in specie eine Wagen Deichsel Ursach zu solchem Unheil geben solle / auch eigentlich dieses verursachete, daß das Weib länger wüste warten, ehe sie gebähren könne, als ihre von GOtt geordnete Geburts-Stunde gewesen sey, solches ist nicht der Wahrheit gemäß. Denn es kan, im Fall der Noth, ein schwanger Weib ohne Schaden unter einer Wagen-Deichsel hinkriechen, (iedoch heisse oder rathe ichs nicht, daß es ohne Noth, vielweniger aus Frevel, geschehe,) hingegen kan sie eben dergleichen Schaden nehmen, wenn sie unter etwas anders hinkreucht, als ob es eine Wagen-Deichsel gewesen wäre. Denn dasjenige Ding, unter dem sie hinkriecht, verursachet den Schaden nicht[340] so oder so, sondern des schwangern Weibes ungebührliche Krümmung und Beugung ihres Leibes verursachet eine schädliche Druckung der Frucht und Ausdehnung, oder auch wohl Zerreissung einiger Bänder /welches denn zum öfftern unglückliche Geburten verursachet. Dahero sollen sich diese Weiber, nach aller Möglichkeit, schonen und in Acht nehmen, daß sie nicht viel über sich langen, oder ihren Leib unordentlich beugen und ausdehnen. Denn wenn sie, aus Frevel, und ohne Noth, wolten etwas thun, das sich nicht geziemete, würde GOtt zur Straffe Unglück über sie verhengen. Was aber arme Bauer-Weiber sind, oder auch Soldaten-Weiber, die Tag und Nacht fort müssen, und sich an nichts kehren können, da wird aus der Noth eine Tugend, und ist an denenselben GOttes Obhut augenscheinlich zu spüren, wenn sie gleich vielmahl hier und da haben durchkriechen müssen. Dahero wer die Sache nur wolte der Wagen-Deichsel zuschreiben, der begehet einen Aberglauben.


Ein schwanger Weib von guter Art,

Gar billich ihren Gang bewahrt,

Daß sie nicht irgend etwas thu,

Daß sie und ihre Frucht darzu

Könn' in Gefahr und Schaden bringn;

Was aber sie nicht kan erzwingn,

Das übergeb sie GOtt allein,

So wird sie ohne Unglück seyn.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 340-341.
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