Das 36. Capitel.
Wenn ein Weib in den Sechs-Wochen verstirbt / muß man ein Mandel Holtz oder ein Buch ins Wochen-Bett legen / auch alle Tage das Bette einreissen und wieder machen / sonst kan sie nicht in der Erden ruhen.

[68] Dieses ist eine Gewohnheit, die fast an allen Orten des Sachsen-Landes im Gebrauch ist, und wo kein Mandel-Holtz zu haben ist / so nehmen sie ein Scheid Brenn-Holtz oder auch ein Buch, und solte es gleich der Eulenspiegel seyn, auf daß ja etwas, an statt der Wöchnerin, im Bette liege. Wo nun diese Thorheit ihren Ursprung her bekommen haben mag, bin ich zwar offt beflissen gewesen zu erforschen, habe aber nicht stracks hinter den Grund kommen können. Endlich aber habe aus vieler Erfahrung, daß niemand anders, als die eigennützigen Weh-Mütter, diese Narrethey ersonnen haben. Denn wenn zu weilen bey wohlhabenden Leuten durch Göttlichen Willen sichs begiebt, daß die Wöchnerin durch den Tod von ihrem Manne verabschiedet, oder auch in Kindes-Nöthen samt der Geburt todt bleibet, da haben von Rechts wegen nach dem Begräbniß die Weh-Mütter nichts mehr im Hause zu schaffen, zumahl / wenn Kind und Mutter zugleich geblieben sind, bekommen auch billicher massen von dem ohne das betrübten und nothdürfftigen Wittwer nichts mehr. Alleine dieses guten Interesse nicht verlustig zu werden, haben sie ersonnen, es müsse die gantze Sechs-Wochen hindurch täglich das Wochen-Bett von ihnen gemacht werden, so gut, als sey die Wöchnerin noch am Leben. Und durch dieses Vorgeben[69] bekommen sie Gelegenheit, täglich ein paar mahl (wenn der Wittwer etwas gutes zu essen hat) ein zusprechen, und ihr Amt mit Essen und Trincken in Acht zu nehmen, und wenn die Sechs-Wochen um sind, und sie bekommen nicht stracks so viel Lohn, als wenn sie würcklich Mutter und Kind so lange bedienet hätten, so tragen sie wohl die ehrlichen Männer aus, und reden schimpfflich von ihnen. Wenn nun ein ehrlicher Mann böse Nachrede vermeiden will, so muß er eine solche alte Katze lassen nach ihrem Vorgeben handthieren, und sie noch mit einen guten Recompens davor versehen, weil Mutter Ursel so sorgfältig vor der seeligen Frauen ihre sanffte Ruhe im Grabe ist gewesen. Ob nun gleich dieses wahrhafftig von nichts anders seinen Ursprung hat, als von denen Wehe-Müttern, so ist es doch endlich mit der Zeit zu einem würcklichen Aberglauben worden, daß ich auch bey klugen und sonst verständigen Leuten diese Thorheit gar sancte practiciren gesehen. Und ist billig zu verwundern, daß unter gläubigen Christen solche unchristliche Thaten die schnurstracks wider den wahren Glauben streiten, vorgenommen und getrieben werden. Denn da ein erfahrner Christ weiß, daß die Seelen der Gerechten, oder derer Seeligen, in GOttes Hand ruhen, und keine Qvaal sie berühret, worinnen soll denn die Unruhe des entseelten Cörpers in dem verschlossenen Grabe bestehen? Ist die Wöchnerin seelig verschieden, so wird ihr Leichnam im Grabe keine Unruhe leiden; ist sie aber verdammt, so leidet ja nur die Seele, biß der[70] Leib wieder mit ihr vereiniget wird; Und so ferne ja der Satan auch den Leib verunruhigen wolte, was würde er doch wohl nach dem täglich eingerissenen und wieder gemachten Wochen-Bette und dem darinnen liegenden Mandel-Holtze fragen, da er Eisen wie Stoppeln, und Ertz wie faul Holtz achtet? Bleibet demnach die gantze Sache mehr als zu gewiß ein schändlich- und schädlicher Aberglaube, den ein Christlicher verständiger Mann keines weges billigen soll.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 68-71.
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