Das 89. Capitel.
Wer in der Kirchen kranck wird / der geneset nicht leicht / sondern muß sterben.

[214] Das ist einiger alten Vetteln ihre Meynung, ohne, daß sie wissen, woher diese Sache ihren Ursprung herhaben möge; wie sie sich denn auch niemahls um die rechte Ursach einer Sache bekümmern, sondern vergnügen sich mit dem blossen Vorgeben, es mag hernach erwiesen werden, wie es wolle. Diesen Punct können sich die unfleißigen Kirchengänger hauptsächlich zur Ursach ihres Aussenbleibens bedienen. Denn wenn es so mißlich um die Genesung eines Patienten, der in der Kirchen kranck worden / stehet, wer will denn gern in die Kirche gehen? Weit davon ist gut für dem Schuß; wenn der Tod in der Kirchen seine Pfeile so gern auf einen schiesset, so kan man ja wohl daraus bleiben; denn wer sich in die Gefahr begiebt, der kömmt darinnen um, möchte mancher leichtfertiger verwegener Mensch nach diesem bösen Vorgeben sich vernehmen lassen. Jener liederliche Flegel sagte: Die Kirche wäre von Kalck, und der Teufel ein Schalck, sie möchte einfallen, und ihm erschlagen, darum wolle er lieber zu Hause bleiben. Monsieur Korn-Hammer hat seinen Willen; ich aber will ohne Sorge hinein gehen, und unterdessen[214] diesen Punct ein klein wenig durch ein ander Perspectiv betrachten, oder mit etwas Theologischen Augen anschauen, auf welche Art ich denn gewahr werde, daß wer diesen Punct behaupten will, denselben auf eine geistliche Weise erklären muß, nehmlich: Wer in der Kirche kranck wird, verstehe kranck am Glauben und der reinen Evangelischen Lehre, und gehet also kranck heraus, irgend nach denen papistischen Qvacksalbern sich allda curiren zu lassen, der geneset freylich nicht leicht, sondern muß des ewigen Todes sterben; es sey denn, daß GOtt ein solch kranck und verirret Schaaf aus Gnaden wieder holete. Wer also geistlicher Weise diesen Canon betrachten will, der dürffte noch eher bestehen, als die alten Vetteln, die mit Fleiß nicht gern in den Tempel / oder das irrdische Gebäu, und an den Ort, wo GOttes Ehre wohnet, gehen, in Besorgung, daß sie allda möchten kranck werden, und hernach nicht genesen können, da sie sich doch dessen im geringsten nicht zu befahren hätten; denn die Meynung, so sie dißfalls haben, rühret einig und allein vom Teufel her, als welcher die Menschen viel lieber im Sauff-Hur-Spiel-Hause, und auf der sündlichen Handels-Börse siehet, als im Hause GOttes; und so es auch in des Satans Gewalt und Willen stünde / so würde er wenig fromme Christen lebendig aus der Kirche gehen lassen.


Auf die Gefahr will ichs wagen,

Trotz dem Tod und Teufel!

Denn was alte Vetteln sagen,

Das ist lauter Zweifel.[215]

Die Erfahrung lehret täglich,

Daß die auch genesen,

Welche vorher kranck und sehr siech

In der Kirch gewesen.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 214-216.
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