Das 28. Capitel.
Es ist nicht gut / wenn man es einem andern zutrinckt / und so man getruncken hat / dem andern den Krug oder Kanne offen stehend giebt.

[319] Ich würde manche Rocken-Stuben-Regel haben ungestriegelt gelassen, wenn die Weiber nur sprächen: Das stehet nicht fein, oder / das und das läufst wider die Erbarkeit! Weil sie aber allewege sagen: Es ist nicht gut! welches so viel heisset, als wenn sie sagten: Das ziehet etwas Ubels oder ein Unglück nach sich; so ist es nöthig, daß ihnen gewiesen werde, wie sie die Leute mit ihrer Lehre nur in vergebliche Furcht setzen. Was demnach anlanget der ietzt vorhabende Punct; so gestehe ich zwar selbst, daß es nicht erbar heraus kömmt / wenn man es einem andern aus einer Kanne, oder mit einem Deckel versehenen Kruge, zutrinckt, und giebt die Kanne oder Krug dem andern also offen stehend hin, da doch der Deckel um deßwillen drauf gemacht ist, daß das Gefäß damit zugedeckt werden möge. Was aber das hierbey zu besorgende Unglück anlanget, da kan ich durch das allerbeste Perspectiv[319] keines erkennen. Und will ich einem jedweden nur das zu überlegen geben / wie daß nicht allein mancher Krug keinen Deckel hat, daraus man doch ohne einige Besorgung einiges Ubels trincket; sondern es werden auch viel tausend Becher und Gläser, die alle offen stehen, und keine Deckel haben, ausgeleeret / und also offen dem andern wieder zugebracht. Wenn nun wahr wäre, daß etwas übels aus den offenen Trinck-Geschirren zu besorgen sey, warum solte es denn nicht aus allen vermuthet werden? Kömmt also dieser Punct nicht sowohl aufs Unglück an, als vielmehr auf die Erbarkeit und gewöhnliche Sitten.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 319-320.
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