Das 55. Capitel.
Wenn man Brodt zu Tische schneidet / und schneidet ohngefehr ein Stück mehr / als Personen sind / so ist ein hungriger Gast unter Wegens.

[371] Wie wunderlich doch die Natur spielet, weil ein hungriger Gast unter Wegens ist, und sich bald einstellen wird / so ist die Natur gleichsam des Gasts Fourier, u. würcket in dem Brodtschneiden so viel, daß der Ausschneider des Brodts, ohne seinem Vorsatz, den noch abwesenden hungrigen Gast auch mit einem Stück Brodt versehen muß. Das lasse mir einer eine vorsichtige Natur seyn die dem Gaste eine gute[371] Mahlzeit bestellet! denn was noch mehr ist, es bleibet nicht alleine bey dem Brodte, sondern es muß auch Zukost dabey seyn. Die super-klugen Pfylosophinnen geben auch für, wenn einer in Gedancken ein Stück Fleisch oder andere Speise aus der Schüssel langete, da er doch noch von solchem Vorrath auf dem Teller liegend hätte, so sey es ebenfalls eine Anzeigung, daß ein hungriger Gast unter Wegens sey. Dieses Wunder-Werck gehet aber wohl niemahls in einem Convictorio oder Communitat auf Universitäten für, denn da bleibet nichts in denen Schüsseln übrig, daß einer vor einen unter Wegens seyenden hungrigen Gast könte in Gedancken ein Stück Fleisch auf seinen Teller schleppen, sondern es ist ein jeder Convictor mit seiner Portion hurtig hinweg, daß in einer Minute die Schüssel leer zu sehen ist, die nur voll war. Also scheinet es, daß sich dieses Natur-Wunder nur an solchen Oertern begiebt, wo Uberfluß genug ist. Und allda kan sichs auch gar leichte zutragen, weil gemeiniglich um Essens-Zeit die hungrigen Schmarutzer sich auf den Weg zu denen wohl versehenen Tischen machen / und wenn sie denn angestochen kommen, und haben die neue Zeitung oder ihren gewohnlichen Bickelherings-Schwanck hören lassen, so heist es: Monsieur Stock stultus beliebe sich doch zu uns zu setzen / sein Theil ist gleich übrig geblieben, und hier ist ihm auch schon das Brodt im Vorrath abgeschnitten worden. Ey da gehet es auf Seiten des Herrn Stock-Stulti an ein complimentiren und Wegern, als[372] ob er keinen Hunger noch Durst hätte, und dennoch wird man bald gewahr / daß er nichts übrig lässet / und hat sich nur gewehret, als wie jene Magd, welche eine Sau zu Marckte trieb, und da sie damit durch einen Busch gieng, kam ein Reiter zu ihr, und sprach sie um verbotene Dienste an, worüber sie sich so hefftig entrüstete, und dem Reiter die lösesten Neden gab, also, daß er vermeynte, hier sey er gantz unrecht angekommen, ritte dannenhero stillschweigend und beschämt sachte fort. Wie aber die Magd merckte, daß sie der Reiter nicht weiter bitten würde, fieng sie an zu ruffen: Der Herr siehet ja, daß ich die Sau habe, wo thäte ich denn die Sau hin? Der Reiter fand hierzu bald Rath, und band solche an einen Busch. Ey, sagte die Magd, ich hätte nicht vermeynet / daß der Herr sobald Rath wüste, er verzeihe mir, daß ich erst so unhöflich gewesen bin, etc. Diese Magd war dem Soldaten auch wohl unwissend ein hungriger Gast, ob sie sich gleich Anfangs noch so sehr vor seiner Speise wegerte, auch endlich einwand daß sie ja eine gantze Sau hätte / weswegen sie von ihme nichts geniessen könte. Und dennoch machte sie es, wie die Schwarutzer, und nahm an, was ihr vorgelegt wurde, ward auch satt und dicke davon. Ob aber bey dem Reiter sich eine gewisse Anzeigung hat vorher spüren lassen, als wie bey einem, der ein Stück-Brodt über die Zahl schneidet, darnach habe ich nicht gefragt.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 371-373.
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