Das 59. Capitel.
Die ersten Baum Früchte müssen von Knaben / und nicht von Mägdlein / abgebrochen werden / weil sie sonst Ritzen kriegen.

[378] Wenn ich eine Weibs-Person wäre, so ließ ich diese Beschimpffung nicht so schlechterdings auf mir und meinem Geschlechte sitzen, sondern es müste mir erst erwiesen werden, was für ein Baum um der von einem Mägdlein zu erst abgebrochenen Frucht willen anietzo aufgeritzte Früchte trage? oder ich wolte auch fürgeben, daß ein solcher Baum, von welchem ein Knabe die erste Frucht gebrochen hätte, hernach lauter knörtzeliche Früchte brächte, und wolte es eben mit dergleichen Gründen erweisen, mit welchen jene ihre Meynung behaupten wolten. Aber, was will ich doch hier das Frauenzimmer defendiren, da ich schwerlich viel Danck von ihnen verdienen werde, weil dieser Aberglaube doch Zweifels-frey von ihnen selbst ersonnen seyn mag, wie andere dergleichen Exempel mehr beweisen, daß sie zu ihres Geschlechts eigenen Beschimpffung etwas närrisches ersonnen haben? Es ist bekannt / daß einige Arten von Baum-Früchten die Eigenschafft haben, daß sie bey Erlangung ihrer Reiffung aufspringen oder Ritzen kriegen, ob gleich nie mahls von solchen Bäumen eine Weibs-Person etwas abgebrochen hat / dahero man leichte auf die Gedancken gerathen könnte, als ob solche Bäume von der Gattung des Baumes in Paradiese, von welchem Eva die ersten Früchte gebrochen hat / wären, weil es ja solcher gestalt nicht anders seyn könnte, daß, so ferne dieser vorhabende Punct wahr wäre / so müste allerdings der Baum des Erkänntnisses hernach auch aufgeritzte Früchte getragen haben, weil Jungfer[379] Evgen die allerersten davon abgebrochen hatte. Daß zu weilen Pflaumen, Birnen u. dergleichen Baum-Früchte aufspringen, das rühret gemeiniglich von anhaltenden Regen und nassen Wetter, als auch von grosser Hitze her / keines weges abervon der durch ein Mägdlein geschehenen Abnehmung der ersten Früchte. Denn wenn dieses letzte die Ursach wäre, so müste folgen, daß solche Bäume alle Jahre dergleichen aufgeritzte Früchte brächten, welches aber nicht wird erfahrenworden seyn. Dahero ist diese albere Meynung abermahl ohne Grund / und keines weges zu glauben: Und gleichwie noch nicht erfahren worden, daß der Baum des Erkänntnisses hätte eine andere Eigenschafft um der Even ihrer Abbrechung willen erlanget, als er vorher gehabt; hingegen aber ist leider! bekannt, daß die Eva, um der abgebrochenen Frucht willen, ihre vorige gute Eigenschafft verändert habe; also ist nicht wohl zu vermuthen, daß durch Abbrechung einer Baum- Frucht, so durch ein Mägdlein geschehen, die Natur so eine rückgängige Gewalt leiden müste, daß eine Krafft von der abgebrochenen Frucht zurück in seinen Ast, und von dar in den gantzen Stamm und Wurtzel gehen solte, die hernach biß zu des Baumes Untergang dauerte.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 378-380.
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