Das 87. Capitel.
Am Char Freytage die Kleider an die Sonne gehenckt / so kommen weder Motten noch Schaben drein.

[427] Das kan wohl seyn, daß am Char-Freytage, so lange die Kleider an der Sonne hängen, keine Motten hinein kommen mögen. Ob die Kleider aber auch die übrige Jahres-Zeit davon befreyet bleiben, dafür geb ich keinen Bürgen ab? Denn ob gleich am Char-Freytage die Kleider Christi sind unter denen Henckersbuben vertheilet worden, so ist es doch nicht darum geschehen, ob hätte Christus etwa mit seinen Kleidern unsere Kleider für dem Verderben erlöset. Nein, Christus hat uns Menschen vom Zorn GOttes[427] und ewigen Verderben durch sein Blut erlöser, aber diese Erlösung gehet weiter keiner Creatur an / sie mag lebendig oder todt seyn. Drum ist es alles vergeblich, und eine Schändung des Leidens und Verdiensts Christi, wenn man am Char-Freytage so vielerley Aberglauben und Gauckel-Possen treibet. Wilt du aber wissen, warum mit Christi Kleidern also verfahren worden? so bedencke unter andern guten Andachten mit, daß es eines theils geschehen / die Sünde unserer Kleider-Hoffart zu büssen, und dahero sollen wir uns für dieser Sünde desto fleißiger hüten, und bedencken, daß die Kleider nur von uns gebraucht werden sollen, unsere Blöse zu bedecken, oder unsern Maden-Sack für Kälte und Hitze zu verwahren, und zuletzt werden doch die Kleider selbst denen Maden und Würmern zu Theil; andern Theils sollen wir bedencken, wie wir die Kleider um des Sünden-Falls willen anhaben, und derer nicht bedürffen würden, so Adam nicht gesündiget, und uns um den Stand der Unschuld dadurch gebracht hätte; nun aber hat Christus unsere Schmach und Schande, mit seiner Blösse und nackenden heiligen unschuldigen Leichnam gebüsset, daß uns die von Adam angeerbte Schuld nicht zur Verdamniß gereichen kan. Hieran aber kehren sich weder Motten noch Schaben unsere Kleider zu zernagen. Ich will aber ein ander Kunststücklein lehren, wie die Motten und Schaben die Kleider nicht leicht fressen. Nehmlich wer es machen wird, als wie ichs mache, und lässet sich nicht mehr Kleider machen, als[428] er zur höchsten Nothdurfft bedarff, der wird empfinden, daß er seine Kleider selbst zerreissen wird, und darff sie nicht denen Würmern zur Speise ohne Noth hängen lassen. Wer aber des Geldes zu viel hat, und ist barmhertzig gegen die Motten, der mag etwas zu Unterhaltung der armen Würmer anlegen, und hat hierinnen seinen Willen.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 427-429.
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