Das 88. Capitel.
Am Char-Freytage Durst gelitten / hilfft / daß einem das gantze Jahr kein Trunck schaden kan.

[429] Wenn mancher Schwein-Igel nicht mehr söffe, als er vertragen könnte, so würde ihm auch kein Trunck schaden, und würde nicht Gelegenheit nehmen dürffen / am lieben Char-Freytage abergläubischer weise Durst zu leiden, womit er sich doch nicht länger praeserviren kan, als allein diesen Tag, da er Durst leidet. Denn ob einer gleich am Char-Freytage nicht getruncken hätte, und träncke den nechsten Sonnabend /oder auf Ostern, mehr als seine Natur sonst vertragen könnte, oder auch ein ungesund Geträncke, so wolte ich ungescheuet mit ihm wetten, daß ihm dieses so wohl schaden würde, als wenn er am Char-Freytage viel getruncken. Mancher leidet in der Absicht am Charfreytage Durst, auf daß ihme hernach das Jahr kein böser Trunck schaden solle / wagt es dannenhero drauf loß, und säufft zu weilen alles ohne Scheu in sich hinein, davon er endlich auf der Nasen liegen bleibt, und[429] die Erde kauen muß. Da mag man denn wohl sagen, er habe auf Gnade gesündiget, und sey Frevel mit Ungenade belohnet worden. Es ist ja GOtt zu erbarmen, wie mancher Mensch den lieben Char- Freytage zu allerhand abendtheuerlichen Aberglauben anwendet. Da werden vor der Sonnen Aufgang Diebs-Zähne (GOTT weiß, mit was für Worten) calciniret, auf daß man, so diese unter Schieß-Pulver gemenget werden, damit gewisse Frey Schüsse thun könne. Man gehet an diesem Tag barfuß, daß man hernach das Jahr in keinen Dorn treten will. An diesem Tage soll es besser seyn, Grentz- oder Rehn-Steine zu setzen, als andere; und was dergleichen für unzähliche Händel mehr getrieben werden. Es hat unsern liebsten Heyland an diesem Tage gedurstet nach unserer Erlösung, und nach unserer Versöhnung mit seinem himmlischen Vater; wornach dürstet aber einen abergläubischen Menschen, wenn er Durst leidet? sicherlich nicht so sehr nach seiner Seeligkeit / als vielmehr nach einem Pommerischen Soff Bier; und dennoch soll dieses Durstleiden eine Nachäffung seyn des unbeschreiblichen Dursts, den der HErr JEsus für uns gelitten hat. Daß GOtt dieses allesungestrafft lassen solte, glaube ich nicht.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 429-430.
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