Das 96. Capitel.
Wer die Drey Heil. Abende / als an Weyhnacht-Neu-Jahr und H. Drey-König-Abend /Geld zehlet / dem wird es das gantze Jahr am Gelde nicht mangeln.

[441] Es sagte einst ein Bettel-Weib, da sie zum ersten mahl im Jahre den Storch sahe / und ich ihr nur selbigen Augenblick eine Gabe gegeben hatte: GOtt Lob und Danck, daß ich Geld bey mir habe, weil ich den Storch ietzt zum ersten mahl sehe / nun werd ich das gantze Jahr keinen Mangel an Gelde haben! Es giengen aber kaum acht Tage dahin, so hatte ich das Weib wieder vor der Thür / mich um ein Allmosen ansprechend; ich stellete mich aber gegen ihr / als ob ich ihr nichts zu geben Willens wäre. Da sie aber so sehr anhielt, sagte sich, sie solte sich schämen, daß sie mich um einen Pfennig anspräche, da sie doch mehr Geld hätte als ich; Sie aber sprach: GOtt solte mir vergeben, daß ich so redete, sie wäre eine blutarme Frau, und hätte keinen Groschen in ihrer Gewalt; Ich sagte aber ferner, daß ich aus ihrem eigenen Geständniß wüste, daß sie mehr Geld hätte als ich, denn mir mangelte Geld, ihr aber keines; Sie hätte ja vor acht Tagen, als sie den Storch gesehen, gesagt, daß ihr nun das gantze Jahr kein Geld fehlen würde, weil sie zu selbiger Zeit nicht ohne Geld gewesen sey. Hieraus antwortete sie: Sie hätte sonst viel[442] darauf gehalten, aber nun sehe sie, daß es nicht einträffe, und wolte auch nicht mehr daran glauben. Ach wolte GOtt, daß alle abergläubische Narren in der Welt mit ihren abergläubischen Thorheiten also zur Erkänntniß kämen, und mit Gelegenheit überwiesen würden! so würden diejenigen / welche nach ietzt vorhabenden Punct glauben, daß sie das gantze Jahr genug Geld hätten, so sie bemeldte Drey-Heil. Abende Geld zehlen mürden / ihre thörichte Einbildung bald fahren lassen. Ja ich setze den Fall, daß du keinen Mangel durchs gantze Jahr an Gelde hättest, was wäre es denn? O du Narr! wenn du auch gleich die gantze Welt gewönnest, und nehmest Schaden an deiner Seelen, was hätte dichs wohl geholffen? Oder auch, wenn du nun heuer in diesem Jahre keinen Tag einigen Mangel an Gelde hättest, du müstest aber folgendes Jahr in äusserster Armuth dein Leben enden, was hättest du denn vor Nutzen davon, daß dir ietzt nichts gemangelt hätte? Ach / siehe lieber zu / daß du diese Drey-Heil. Abende in feinen Geist-reichen Büchern liesest, und aus GOttes Wort das gantze Jahr / zu Erbauung deiner Seelen, deiner Kinder und Gesind, und deines Nechsten, etwas erzehlen, nicht aber Geld zehlen kanst / und trachte am ersten nach dem Reiche GOttes, und nach seiner Gerechtigkeit, so wird er dir, wenn es dir nicht an deiner Seelen Seeligkeit hinderlich seyn wird, auch wohl Geld zu zehlen geben, so viel dir von nöthen seyn wird.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 441-443.
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