Das 98. Capitel.
Wenn ein schwanger Weib über eine Rinne / dadurch eine Glocke gegossen wird / springet / so befördert es ihre Geburt.

[445] Wiewohl die Stück- und Glocken-Giesser manchmahl auch gar abergläubisch bey ihrem Giessen sind / sonderlich, da mancher nicht viel nähme, und ließ eine Weibs-Person sich hinzu nahen, wo er etwas giessen will, in Besorgung, sie möchte ihre menses haben, welches, (wie mancher fest glaubt) zu gäntzlicher Verderdung seines Gusses Ursach geben würde: Dennoch glaube ich, daß auch einige verständige Stück-und Glocken-Giesser auf diese Albertät nichts halten, und das Weibs-Volck ohne Sorge mit zusehen lassen. Da es denn wohl einmahl kan geschehen seyn, daß ein hochschwanger Weib einem solchen Glocken-Guß mit zugesehen[445] hat, und wer weiß, wo sie etwa gestanden hat, daß sie von ihrer ersten Stelle, aus höchst-dringender Noth, hat weichen, und über die mit feurigen Metall fliessende Gieß-Rinne springen müssen /worauf sichs denn wohl kan begeben haben, daß das ohnedem zur Geburt schon zeitige Kind, um der Mutter Schrecken und der von dem heissen Metall zu der Geburt und Mutter dringenden aufsteigenden Wärme willen, sich desto bester zur Geburt geschickt hat, und an das Tage-Licht glücklicher kommen, als vielleicht besorget worden. Dennoch aber, ob gleich dieses sich ja einmahl auf diese Art solte zugetragen haben, so folget doch deßwegen noch nicht, daß diese Probe bey andern auch so eintreffen werde. Und wenn ich ja zugeben müste, das etwas von diesem Dinge zu halten sey, so soll mich doch nimmermehr kein Mensch überreden, daß es eben geschehen müsse, wenn eine Glocke gegossen würde, nicht aber bey Giessung eines Stücks, Mörsers / oder etwas anders. Denn wenn hier ja etwas die Geburt befördert, so kan es nichts anders seyn, als die sulphurischen warmen Dünste des Veneris oder Metalls. Und wird gleichviel seyn, ob es eine Glocke, ein Feuer-Mörsel, Geschütz, oder etwas anders ist. Und wie solte es auch kommen, daß die Geburts-Zeit eines Weibes, und die Giessung einer Glocken, so gleich zusammen treffen werde? sintemahl das letzte gar an wenig Orten fürgenommen wird, daß also unter viel tausend schwangern Weibern keine die Gelegenheit haben kan, sich dieses Hülffs-Mittels zu bedienen.[446] Solte aber geglaubet werden, es dürffte eben nicht zu der Zeit des Gusses geschehen, daß das Weib über die Rinne spränge, sondern es möchte gleich vor langer Zeit schon dadurch gegossen seyn, so ist an der gantzen Meynung nicht ein Wort wahr, sondern für einen ausgemachten Aberglauben zu halten. Denn nur schlechterdings über eine kalte Gieß-Rinne hin zu schreiten, kan natürlicher Weise ohnmöglich die Geburt ehe befördern, als die Zeit der Geburt sonst von GOtt bestimmet gewesen. Derowegen soll ein schwanger Weib mit solchen abergläubischen Narren-Possen sich nicht versündigen.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 445-447.
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