Das 93. Capitel.
Wenn eine greißtende Frau eine reine Jungfer über sich lässet hinschreiten / und die Jungfer in währenden Uberschreiten ihren Gürtel auf die Greißtnerin fallen lässet / so geneset diese alsobald.

[183] Wenn dieses wahr ist / warum lässet man denn so offt greißtende Weiber so lange in dem erbärmlichsten Zustande, zu 2. 3. und mehr Tagen liegen / und endlich wohl gar samt dem Kinde sterben und verderben /und warum bedienet man sich denn dieses leichten Mittels[183] nicht? hat es doch fast das Ansehen / als ob die reinen Jungfern so ein rares Wildpret wären / daß in solchen Nothfällen keine anzutreffen sey. Oder sind die reinen Jungfern irgend so excessiv schaamhafftig /daß sie sich auf keine weise zu solchen Liebes-Dienst wollen bereden lassen? so nimmt mich es Wunder /weil man doch genug Exempel weiß / daß in manchen Assembléen der Jungfern wohl so heilige Gebährungs-Discurse geführet werden / woraus auch wohl manche erfahrne Wehmutter wohl was lernen könte. Aber sachte! diese sind vielleicht keine reine Jungfern; dahero schicken sie sich zu dieser function nicht. Wenn mich nun iemand fragte / wo man denn in solchem Nothfall eine reine Jungfer antreffe? so würde ich meine Unwissenheit vorschützen müssen. Denn mit grossen erwachsenen Jungfern / welche Gürteln tragen / scheinets mit der Probe ein ungewiß Ding zu seyn; und die kleinen unschuldigen Mägdlein tragen noch keine Gürtel. Dahero ich vermuthe / es müsse dieses Capitels Rubric eine verblümte Meynung in sich haben; und zwar bedüncket mich / daß es also zu verstehen sey: wenn nehmlich das Weib mit einem Töchterlein schwanger gewesen / und mit solchen in greißten liegt / so kan es[184] nicht fehlen / daß so dieses Kind zur Welt gebohren wird / ist es noch eine reine (oder von keinem Manne berührte) Jungfer / so diese Jungfer nun so weit an das Tagelicht tritt / daß sie /mit Hülffe der Wehmutter / von dem Gürtel (die Nabel-Schnur) womit die Kinder offt gleichsam gebunden sind / ablöset / und das an der Affter-Bürde hangende Band auf die Greißterin fällt / so wird die Jungfer über die Mutter oder Greißterin hin gegeben /welches ein Uberschreiten kan genennet werden / und solcher gestalt / oder in dieser Meynung / möchte dieser Glaubens-Articul bestehen können. Denn in solchen Begebenheiten haben offt die Wehemütter gar vielerhand verblümte Redens-Arten / auf daß es die gegenwärtige Personen / denen eben nicht alle Dinge zu wissen nöthig ist / nicht verstehen mögen / was damit gemeynet sey; e.g. es lag einst ein junges Weib in Kindes-Nöthen / und wenn sie einige wilde Wehen hatte / vermeynete sie / es sey die Geburth schon da. Die Wehmutter sagte aber zu ihr: Nein / meine liebe Frau / wenn erst ein Perl-Borten im Gesichte und auf der Stirn gesehen wird / eher wird nichts draus / das gute Weiblein rieff ihren Mann / und sagte ihm heimlich ins Ohr: er solte ihr doch etliche[185] von ihren Perl-Schnuren herbringen / da nun der Mann diese brachte / legte das einfältige Weib solche über das Gesicht und die Stirn / und meynte / nun werde sie stracks einen frölichen Geburths-Anblick haben / aber die Wehmutter lachte dessen / und sprach: es sey kein solcher Perl-Borten gemeynet / sondern wenn der Greißterin das gantze Gesicht voll grosser Schweiß Tropffen stehen würde / das hieß sie einen Perl Borten. Wer nun so närrisch handeln und glauben wolte /man befördere die Geburth / so man der Greißterin einen Perl Borten aufs Gesichte legte / so würde dieses abermahl eine Materie für meine Striegel seyn.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. Band 2, Chemnitz 1722 [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 183-186.
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