Das 10. Capitel.
Es ist nicht gut, wenn ein Stuhl umgekehrt liegt / und die Beine in die Höhe kehrt.

[232] Wenn es gut wär / so würde man keinen Stuhl stehen lassen / sondern würde sie alle umschmeissen / daß sie die Beine in die Höhe kehreten / auf daß das Gute / so daraus entstünde / über einen käme / weils nun aber nicht gut ist / so lässet man sie auf ihren 4. Beinen stehen / biß die Zeit kömmt / daß es gut ist. Die dumme Welt redet immer von gut und nicht gut seyn /und wissen doch selbst nicht / was sie[232] wollen. Hier in vorhabenden Punct sagen die Abergläubischen: es sey nicht gut / so ein Stuhl umgekehrt läge; und gleichwohl wissen sie nicht / warum es nicht gut sey. Ich will ihnen aber das Verständniß dißfalls eröfnen / und erstlich das contrarium erweisen / daß es gut sey /wenn die Stühle umgekehrt liegen. Nehmlich: wenn man von einer Reise des Abends müde in einen Gasthof oder Wirthshauß kommt / und sich nach dem Lager oder Streu sehnet / der Wirth läßt aber die Streu nicht eher machen / biß die andern Gäste alle Feyerabend machen / alsdann aber / wenn die Gäste zum Theil heimgehen / auch sich theils gleichfalls zur Ruhe legen wollen / so nimmt der Haußknecht / oder die Magd die Stühle / und kehret sie alle um / und machet die Streu dran / daß man an denen Lähnen der Stühle mit dem Kopffe etwas höher aufliegen kan; wenn nun ein müder Wandersmann die Stühle also umkehren sieht / wird er froh / denn dieses ist ihm ein gut Zeichen / daß er nun zur Ruhe kommen werde. Und solcher gestalt ists ja gut / wenn die Stühle umgekehrt liegen / und die Beine in die Höhe kehren. Nun will ich aber auch melden / wenn es nicht gut sey / daß die Stühle umgekehrt liegen / nehmlich: wenn die Gäste uneinig werden / die Stühle[233] umschmeissen /die Beine raus treten / und sich damit herum schlagen / da bleiben dann die zerstümmelte dreybeinige Stühle umgekehret unter einander her liegen / welches freylich nicht gut ist / denn die gantzen Stühle sind besser / als die zerschlagenen. Ferner ists auch nicht gut /wenn die Stühle die Beine in die Höhe kehren / wenn nehmlich ein armer Sünder vom Leben zum Tod gebracht wird / da kehren die Richter und Beysitzer beym Halßgerichte / nach gebrochenen Stabe / die Stühle auch um / oder werden umgeschmissen. Und auf solche weise mag dieser Punct eintreffen. Ubrigens aber hat es weder Gutes noch Böses zu bedeuten / wenn man einen Stuhl umlegt / daß die Beine in die Höhe gehen / welches ja offt mit allem Fleiß geschicht / so man zwey Stühle zugleich fortträgt / und einen umgekehrt auf den andern legt / da sie sich desto beqvemer tragen lassen / und dieses hat gemeiniglich was guts zu bedeuten / nehmlich eine Hochzeit / oder ander gut Gelag.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. Band 2, Chemnitz 1722 [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 232-234.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die gestriegelte Rocken-Philosophie
Die gestriegelte Rocken-Philosophie
Die gestriegelte Rocken - Philosophie