Das 30. Capitel.
Wer an den vier hohen Festtagen im Jahr kein Fleisch isset / dem thun dasselbige Jahr die Zähne nicht weh.

[279] Wenn mir die abergläubischen Narren alle[279] hohe Festtage einen guten fetten Braten verehrten / so wolte ich doch ihnen zu Gefallen diese Lügen glauben / wolte auch gern kein Fleisch essen / sondern lauter Schincken / Braten / Rinds-Zungen / und dergleichen Geschneitzlich mehr. Es würde mir auch diese Lügen zu glauben gar nicht schwer fallen / zuwahl wenn ich bedächte / daß ein Todter / welcher alle vier hohe Festtage kein Fleisch isset / auch das gantze und alle folgende Jahre keine Zahnschmertzen haben könne: die lebendigen aber / sie mögen seyn arm oder reich / ob sie auch gleich das gantze Jahr wenig Fleisch essen könten / so werden sie doch sehen / wie sie es machen / daß sie auf das Neue Jahr / auf Ostern / Pfingsten /und Weyhnachten ein Gerichtgen Fleisch erzeugen könne. Und weil sie als lebendige Menschen können Fleisch essen / also können ihnen auch die Zähne noch wohl wehe thun; und glaube ichs solcher Gestalt gar gern / daß wer an solchen vier hohen Festtagen kein Fleisch isset / dem thun die Zähne nicht weh. Wer isset aber an solchen Festtagen kein Fleisch / als die Todten / die es nicht können? Wer den sonst sehr zum Zahnschmertzen geneigt ist / der versuche es /und enthalte sich alle vier hohe Festtage des Fleischessens / und sehe auch zu / ob ihm in gantzen Jahre die Zähne nicht weh thun? ich sorge / die[280] Kunst werde auf gebrechlichen Steltzen gehen. Drum ist mein Rath / man esse Fleisch / wenn man es hat und mag / und lasse die Todten fasten / auf daß ihnen das Fleisch nicht irgend zwischen die Zähne komme / und Zahnschmertzen causire. Lieber GOtt! wie ist doch der Mensch voller närrischer Weißheit? und wer mag die Probe gemacht und an vier hohen Festtagen kein Fleisch gegessen haben / dabey auch zugleich observiret / daß ihme das gantze Jahr die Zähne nicht weh gethan haben? und so sie ihm nicht weh gethan / wer denn ihm die Versicherung gethan / daß die Ursach von dem enthaltenen Fleischessen am vier Feyertagen herkomme? gewißlich / wo der Beweiß solte gründlich dargelegt werden / so würde solcher wohl ewig aussen bleiben; denn es ist eine Lüge.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. Band 2, Chemnitz 1722 [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 279-281.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die gestriegelte Rocken-Philosophie
Die gestriegelte Rocken-Philosophie
Die gestriegelte Rocken - Philosophie