Das 34. Capitel.
Wer ein neu Messer kaufft, der soll den ersten Bissen / den er damit schneidet / einem Hunde geben / so verliert er dasselbe Messer nicht.

[288] Bechers närrische Weißheit und weise Narrheit ist zwar voll allerhand seltsamer Anschläge und Künste /aber so närrisch / als einige thörichte Leute. Aberglauben erfinden / kan von vernünfftigen Menschen nicht begriffen werden. Es schickt sich zwar ein mit einem neuen Messer abgeschnittener Bissen Brodt /und ein Hund / gar wohl zusammen / wiewohl ich mehr davon hielte / wenn das erste Stück Brodt / das mit einem neugekaufften Messer abgeschnitten worden / einem armen hungerigen Bettler gegeben würde / da würde man gewißlich GOttes Lohn / welcher mehr als das Messer werth ist / eher davor zu gewarten haben / als so man es einem Hunde fürwirfft. Ob nun wohl ein Hund mit einem Stück Brodt gar gut zu rechte kömmt / so kan ich und alle Menschen doch nicht begreiffen / welcher gestalt dann ein Hund verhüten könne / daß man das Messer / damit ihm ein Stückel Brodt geschnitten worden / nicht verlieren werde? bekannt ist es zwar / daß ein Hund eigentlich darum gehalten wird / daß er die Diebe verrathen solle mit seinen pellen / aber absonderlich ein Messer zu hüten / stehet in keines Hundes Vermögen; so kan man ja ein Messer offt sehr lange haben / wie ich selbst Messer führe / die ich bey nahe 30. Jahr gehabt / ob ich mich gleich erinnere / damahls[289] als ich solche in Leipzig gekaufft / keinen Hund bey mir gesehen zu haben / dem ich hätte einen Bissen damit abgeschnitten / ohnerachtet ich alsbald damit gegessen. Wenn nun auf des Hundes Wachsamkeit wolte reflectiret werden / so hat ja der Hund eher seinen Untergang zugewarten / als das Messer selbst / und kan man wohl zehen Hunde nach einander haben / und neben den zehen Hunden wohl nur ein eintziges Messer gebrauchen. Wenn man nun mit dem Messer / als man es neu gekaufft hat / gleich dem ersten Hunde einen Bissen Brodt geschnitten hätte / so würden doch die andern Hunde davon nichts wissen. Gesetzt auch /daß man ein solch Messer nicht verlöhre / so ists doch nicht Ursach / weil man den erst damit geschnittenen Bissen einem Hunde gegeben hätte / sondern / weil man selbst solch Messer wohl in acht genommen hat. So wird auch ferner vielen bekannt seyn / daß Messer gekaufft werden / wo man keinen Hund im Hause hat / und solche Messer werden doch lange behalten und nicht verlohren; hingegen kaufft man wohl Messer /womit dieser Aberglauben wohl in acht genommen /und der erste damit geschnittene Bißen einem Hunde gegeben wird / und dennoch wird das Messer verlohren; welches mir alles beides nicht schwer zu beweisen fallen[290] solte / so es erfodert würde. Was soll ich aber viel Weitläufftigkeit machen? genug / daß diese Regel eine Lügen ist.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. Band 2, Chemnitz 1722 [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 288-291.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die gestriegelte Rocken-Philosophie
Die gestriegelte Rocken-Philosophie
Die gestriegelte Rocken - Philosophie