Das 52. Capitel.
Wer ein oder mehr Löffel stiehlt, der behält das Maul offen / wenn er stirbet.

[326] Es wär zwar nichts böses / wenn die Diebe und theils diebisch Gesinde dieses nicht allein glaubten / sondern auch sich dafür fürchteten / und besorgten / daß wenn sie Löffel (sonderlich silberne) stehlen / solches auch noch in ihrem Tode / zu ihrer grossen Schande /werde offenbar werden / vielleicht würde mancher silberner[326] Löffel seinem Eigenthums-Herrn verbleiben. Es scheinet aber / als ob viele diese- Straff-Verhängniß entweder selbst nicht glauben (wie es denn auch nicht wahr ist) oder doch sich nicht viel um die daher entstehende Schande bekümmerten. Denn wenn ich diejenigen Personen / die diesen Aberglauben am meisten lehren und anhangen / in ihrem Wandel betrachte / so kommen mir viele darunter so verdächtig für /daß ich ihnen nicht gern viel ungezehlte silberne Löffel möchte aufzuheben geben. Daß aber dieser Aberglauben gleich allen andern im Grunde falsch sey /beweise ich daher: Ich habe viele ehrliche Leute sterben gesehen / von denen ich versichert gewesen / daß sie ihr Lebtage dem Laster des Diebstahls / nicht ergeben gewesen / und dennoch haben sie / nach Gewohnheit der meisten Sterbenden / ihren Mund eröffnet gelassen / daß man solchen mit einen übern Kopff gebundenen Tüchlein hat schliessen müssen; da nun bey denen meisten Sterbenden dieses gewöhnlich geschicht / warum wollen denn die im Aberglauben ersoffene Schlaraffen dem Teufel auch noch damit ein Gelächter machen / wenn sie ehrliche und Christlich gelebte Menschen auch noch im Tode mit einem so bösen Diebs Verdacht beschmitzen wollen? Ein Dieb ist ein Dieb / er stehle-[327] Löffel oder Teller / Messer oder Leuchter / oder auch was anders / in seinem Tode wird man es ihm aber nicht ansehen / ob er gleich in selbigen moment seines Diebstahls wegen für GOttes Gericht Rechenschafft geben muß. Ein redlicher Christ sterbe nun gleich mit offenen oder geschlossenen Munde / so kan er damit doch den 1000. Theil nicht so viel Schande davon tragen / als ein abergläubischer Mensch / der in allem seinen gantzen Thun und Wandel / in Worten und Wercken / sein verflucht ärgerlich und abgöttisch abergläubisch Wesen fortsetzet / von welchem billich nach dem Tode gesagt wird: es war ein alberer / abergläubischer / abgöttischer böser Mensch / der denen alten Huren /Qvacksalbern / Teufels-Dienern / Schatzgräbern Zauberern / Wünschelruthen Gängern / Goldmachern /Urin Beguckern / Zauberern / und dergleichen Geschmeisse mehr Glauben gab / als GOtt und seinem wahren Worte / der mit Aberglauben aufstand / mit Aberglauben sich anzog / mit Aberglauben arbeitete und aß / mit Aberglauben betete und sich wieder niederlegte / in Summa; es war ein Narr.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. Band 2, Chemnitz 1722 [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 326-328.
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