Das 61. Capitel.
Wenn ein Kind zur H. Tauffe getragen wird / soll die Wochnerin in alle vier Winckel des Hauses gucken.

[342] Worzu dienet denn dieses? Antwort: die Kinder werden fein behertzt / und fürchten sich für nichts. So werden es ohne Zweifel die meisten Kinder-Mütter ietziger Zeit so machen / weil sich die Jugend leider! weder für GOtt noch Menschen mehr fürchten will /sondern lebet in Tag hinein / daß ferner hin dem Teufel selbst dafür grauen möchte / denn vor diesen war doch noch Furcht gegen Eltern und [342] Præceptores, die Unterthanen furchten sich für der Obrigkeit / und wenn diese was gebotten; so muste über solch Gebot gehalten werden / ietzt aber finde ich bey niemanden keine Furcht mehr. Mein Symbolum heißt: Fürchte GOTT / thue recht / scheu niemand. Wenn man nun GOtt fürchtet / so trachtet man auch darnach / daß man recht thut / welches zwar in des natürlichen Menschen Kräfften nicht stehet / sondern GOtt muß sein gnädig Gedeyen darzu geben / daß man nach allen Kräfften sich befleißiget / recht zu thun. So man nun nach aller Möglichkeit GOtt fürchtet / und recht thut /so hat man alsdenn auch nicht noth / sich für iemanden weiter zu fürchten / oder vor iemanden Scheu zu tragen / es mag nun die Mutter bey der Tauffe in die vier Winckel des Hauses geguckt haben oder nicht /genug / daß GOtt einem solchen Menschen ins Hertz gleichsam zurufft: Fürchte dich nicht / ich bin mit dir / ich erhalte dich etc. wo aber keine Gottesfurcht anzutreffen ist / so mag die Mutter bey dem Tauff-Actu gleich in sechs Winckel des Hauses gesehen haben /so wird doch die Furcht des bösen Gewissens einen dermassen verzagt machen / daß wenn nur eine Mauß vom Simß herab springet / wird man ein Gespenst /oder gar dem Teufel draus machen. Es giebt[343] Leute /die sich stellen / als ob sie sich weder für Teufel noch Gespenst fürchteten: wenn es aber zur Probe kömmt /sind es gemeiniglich die aller furchtsamsten Berenheuter / die ihren eigenen Schatten für ein Gespenst ansehen. Drum wolle sich hinfort die Frau Wöchnerin nur nicht mehr die Mühe geben / in die vier Winckel des Hauses zu sehen / wenn ihr Kind zur Tauffe getragen wird / denn dieses wird ihrem Kinde nicht allein nichts helffen / sondern sie selbst hat sich vielmehr bey Ausübung solches abgöttischen Aberglaubens zu besorgen / daß sie GOtt strafft / daß sie über was erschrecken / oder sich erkälten / und eine Kranckheit davon tragen kan. Hingegen rathe ich ihnen / daß sie in ihren Wochenbetten / bleiben / und für ihr liebes Kind GOtt hertzlich anruffen wollen / daß er dasselbe zu Gnaden annehmen / und durch die H. Tauffe zu einem Kinde GOttes machen / und solches wachsen und zunehmen lassen wolle an Weißheit / Alter und Gnade bey GOtt und den Menschen / alsdenn können sie besser versichert seyn / daß sich ihr Kind für nichts zu fürchten habe; zumahl / wenn sie es zu allen guten Christlichen Tugenden / in der Zucht und Vermahnung zum HErrn / auferziehen.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. Band 2, Chemnitz 1722 [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 342-344.
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