Das 62. Capitel.
Wenn eine Braut getrauet wird, soll sie eine alte blaue Schürtze verborgen mit unterbinden.

[344] Hier muß ich abermahl aus curiosität fragen: was bedeutet denn dieses? die Antwort / welche ich auf meine Frage höre / ist folgende: Wenn man hernach einem Kinde / das die Schwerenoth oder Fresel hat /solche Schürtze unterlegt / so hülfft sie wider solche schwere Kranckheit. Ich muß gestehen / es wär der Rede wohl werth / wenn es wahr wär / alleine ich finde das bey den Qvacksalbern gewöhnliche probatum est nicht dabey; drum scheinet die Probe nicht allein müßlich / sondern als ob es gar erlogen wär. Mir kömmt das gantze Werck sehr bedencklich für / denn eine Braut ist eben ein Mensch wie andere; ist sie nun eine reine Jungfer / so bleibt sie es auch / und wird durch die Trauung an ihrer Jungferschafft keines weges geschwächt / biß sie ihrem angetraueten Manne beylieget. Wie kan sie denn nun der alten blauen Schürtzen eine solche Krafft mittheilen in der Stunde /da sie mit einem Manne copuliret wird / als zu anderer Zeit? fähret denn irgend die Freude / welche die Braut in der Trauung empfindet / in die verborgene blaue[345] Schürtze / daß diese hernach ein Specificum Epilecticum abgeben kan / oder was ists für eine wunderliche Krafft / dahinter man nicht kommen kan? Weil in solcher Stunde die Braut ein Weib genennet wird / (ohnerachtet sie noch eine Jungfer ist) erschrickt sie vielleicht so / und fähret irgend solch Schröcken / in die Schürtze / daß es hernach mit solcher Schröcken-vollen alten Schürtze hergehet nach dem alten Sprüchworte: Böses muß böses vertreiben. Also wird das Schröcken / das in der alten Schürtzen steckt / des Kindes Schröcken vertreiben und ausjagen sollen / als wie es einige Thüringer Bauern mit ihren Hauß-Grillen machen / wenn sie etliche Feld-Grillen fangen / und in ihre Häuser tragen / da denn die Feld-Grillen die Hauß-Grillen todt beissen / und sich hernach wieder aufs Feld begeben. Es sey aber nun wie es wolle / so ist das Ding mit der blauen Schürtze ein Aberglaube / den eine ehrliche und Christliche Braut nicht practiciren wird / auch rechtschaffene Eltern an ihren am Fresel kranck liegenden Kindern nicht gebrauchen / und dagegen heilsame und ordentliche Mittel verabsäumen werden.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. Band 2, Chemnitz 1722 [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 344-346.
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